Fritz Bauer und die Frankfurter Auschwitz-Prozesse

Die Mörder und ihre Handlanger konnten sich sicher sein: sie würden nicht mehr nach ihren Taten gefragt oder für sie verurteilt werden. Nur wenige Staatsanwälte stellen sich gegen das Verdrängen und Vergessen. Zu ihnen gehört der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, dessen Anklageschrift den Frankfurter Auschwitz Prozessen zugrundeliegt.

Generalstaatsanwalt Fritz Bauer

Wer wollte sich schon mit der Vergangenheit befassen? Hatte nicht Bundeskanzler Adenauer schon 1952 im Bundestag einen Schlussstrich gezogen:

Wir sollten jetzt mit der Naziriecherei einmal Schluss machen, denn, verlassen Sie sich darauf, wenn wir damit anfangen, weiß man nicht, wo es aufhört. (1)

18 Jahre waren bereits vergangen und in zwei weiteren Jahren würden die Morde verjähren und alleine schon deshalb keine Anklagen mehr möglich sein.

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Fritz Bauer

Der Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer gehört zu der Minderheit, die sich dem Verschweigen und Vergessen entgegenstellen. Der Jude Fritz Bauer ist Sozialdemokrat und von Anfang an entschiedener Gegner der Nazis. Er wird 1933, kurz nach der Machtergreifung der Nazis, aus dem Justizdienst entlassen, festgenommen und acht Monate lang inhaftiert. 1936 flieht er nach Dänemark, später nach Schweden. 1949 kehrt Fritz Bauer nach Deutschland zurück. Er wird Generalstaatsanwalt in Braunschweig, wo er dazu beiträgt, die vielfach als „Verräter“ geltenden Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer des 20. Juli zu rehabilitieren.

1963 beginnen die Frankfurter Auschwitz- Prozesse. Es ist der Versuch, die schlimmsten Menschheitsverbrechen mit den Mitteln des Rechts und der Öffentlichkeit gegen eine Mauer des Schweigens und vielfache Behinderungen und Widerstände aufzuarbeiten. Möglich geworden ist der Prozess durch die „Breslauer Dokumente“, die die SS nicht mehr vernichten konnte. Diese Dokumente enthalten penibel geführte Todeslisten mit Namen der Opfer und Mörder sowie Lieferscheine für Zyklon B, das in den Gaskammern eingesetzt wurde.

Es folgen 182 Verhandlungstage mit grauenhaften Schilderungen der Massenmorde, die in erschütternden Tondokumenten festgehalten sind. Die 22 Angeklagten zeigen keine Reue. Sie berufen sich darauf, nach den Gesetzen gehandelt zu haben, die das NS-Regime erlassen hatte. Nach der damaligen Rechtsauffassung bundesdeutscher Gerichte können die Täter nur dann verurteilt werden, wenn sie über die NS-Gesetze hinaus auf eigene Initiative und auf besonders grausame Weise gemordet haben. Insgesamt werden im ersten Auschwitz-Prozess sechs lebenslange Haftstrafen verhängt, 13 weitere Haftstrafen und drei Freisprüche. Weitere Auschwitz-Prozesse folgen.

Auch gegen Adolf Eichmann, einen der Haupttäter des Mordes an den europäischen Juden und Jüdinnen, hatte Bauer ein Ermittlungsverfahren einleiten lassen. Das Amtsgericht Frankfurt erließ einen Haftbefehl, in dem die Festnahme Eichmanns wegen der „Verschleppung von mehreren Millionen Juden und deren Vernichtung durch Vergasen in den Konzentrationslagern“ angeordnet wurde. Allerdings fanden die Frankfurter Ermittler Eichmann nicht. Nachdem Prozesse gegen enge Mitarbeiter Eichmanns die Probleme deutscher Behörden und Gerichte im Umgang mit nationalsozialistischen Verbrechen nochmals deutlich gemacht hatten, verhalf ein Hinweis Bauers Israel zur Verhaftung Eichmanns. So konnten in einem mehrmonatigen Prozess in Jerusalem vor den Augen der Weltöffentlichkeit die Leiden des jüdischen Volkes und die Gräuel der Shoah dargestellt werden. Eichmann wurde zum Tode verurteilt.

Fritz Bauer hat auch das Ziel, NS-Morde an behinderten und als „nicht lebenswert“ geltenden Menschen aufzuklären und zur Anklage zu bringen. Dabei muss er zusätzliche Tabus überwinden, denn auch in der Nachkriegszeit halten sich die Vorurteile gegen Menschen mit Behinderung und die furchtbare Einstellung zu „lebensunwertem Leben“ noch lange. 1965 eröffnet Bauer die Voruntersuchung für einen Prozess gegen NS-Juristen, die „Euthanasie“-Morde ermöglicht haben. Wegen Bauers frühem Tod 1968 findet dieser Prozess jedoch nie statt.

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Erschießungsliste des KZ Auschwitz, 8. Oktober 1942 (sog. “Breslauer Dokumente”), Sign.: Archiv des Fritz Bauer Instituts, Smlg FAP 1, AB 1a

Ein Teil der Akten des Vernichtungslagers Auschwitz überstand die Spurenvernichtung durch die SS. Die von Häftlingen versteckten „Breslauer Dokumente“ enthalten u.a. penibel geführte Todeslisten und Lieferscheine für das Giftgas Zyklon B.

Die Frankfurter Auschwitz-Prozesse wurden auf der Grundlage dieser Akten möglich.

Spätere Urteile geben Fritz Bauer Recht

Bei den Frankfurter Auschwitz-Prozessen herrschte bei deutschen Gerichten entgegen den völkerrechtlichen Bestimmungen noch die vom Bundesgerichtshof vorgegebene Rechtsauffassung vor, dass Täter, die Befehle ausgeführt haben oder sich gemäß den Gesetzen und Verordnungen des NS-Staates verhalten haben, nicht bestraft werden können. Eine Strafe war deshalb nur möglich, wenn den Tätern individuell Straftaten nachgewiesen werden konnten, die etwa durch besondere Grausamkeit über die Befehls- und Gesetzeslage hinausgingen. Diese Auslegung führte vielfach zu milden Strafen oder Freisprüchen. Fritz Bauer hatte dagegen argumentiert, dass Massenmord und Verbrechen gegen die Menschheit auch dann in vollem Umfang zu bestrafen sind, wenn sie sich auf Gesetze eines Staates stützen – und dass zudem die Beteiligung an einem verbrecherischen System ausreicht und der Nachweis individueller Verbrechen für eine Verurteilung nicht erforderlich ist.

Die Sach- und Rechtslage war ungewöhnlich einfach: Es gab einen Befehl zur Liquidierung der Juden in dem von Nazis beherrschten Europa; Mordwerkzeug waren Auschwitz, Treblinka usw. Wer an dieser Mordmaschine hantierte, wurde der Mitwirkung am Morde schuldig, was immer er tat…“ Wer einer Mörderbande angehört, „ist des Mordes schuldig, gleichgültig, ob er als ‚Boss‘ am Schreibtisch den Mordbefehl erteilt, ob er die Revolver verteilt, ob er den Tatort ausspioniert, ob er eigenhändig schießt, ob er Schmiere steht oder sonst tut, was ihm im Rahmen einer Arbeitsteilung an Aufgaben zugewiesen ist. (2)

Neuere Urteile – wie etwa das Urteil von 2011 gegen John Demjanjuk – übernehmen Bauers Sichtweise. Es genüge für eine Verurteilung, so der Vorsitzende Richter in der Urteilsbegründung gegen Demjanjuk, wissentlich „Teil einer Vernichtungsmaschine zu sein“ (3). Bauers Auffassung entsprach allerdings bereits zum Zeitpunkt der Frankfurter Auschwitz-Prozesse dem geltenden Völkerrecht, insbesondere dem am 12. Januar 1952 von der UN-Vollversammlung beschlossenen „Abkommen zur Verhütung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermordes“. (4)

Zukunft braucht Erinnerung

Zum 30. Jahrestag des Beginns der Auschwitz-Prozesse hat der Hessische Rundfunk eine dreiteilige Dokumentation mit Tonbandprotokollen und umfangreichen Archivmaterial zu den Prozessen erstellt und ausgestrahlt. Die Sendungen sind bei YouTube zu sehen:

Teil 1: Die Ermittlungen https://www.youtube.com/watch?v=CXzdxYgXSeM

Teil 2: Der Prozess https://www.youtube.com/watch?v=7WMzUkMZ_Ss

Teil 3: Das Urteil https://www.youtube.com/watch?v=g4ECSiQ28_Y

Quellen, Hinweise und weitere Informationen

 

(1) Konrad Adenauer im Oktober 1952 im Bundestag, zitiert nach: FR, 27.10.2000

(2) Fritz Bauer, zitiert nach: Norbert Frei, 1945 und wir, S. 93f.

(3) siehe dazu: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-ns-kriegsverbrecherprozess-fuenf-jahre-haft-fuer-john-demjanjuk-1.1096164

 

Fotonachweise:

Fritz Bauer: Fritz Bauer Institut / A. Mergen, Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, https://www.fritz-bauer-institut.de/fileadmin/editorial/publikationen/einsicht/einsicht-05.pdf, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=88521845

Erschießungsliste des KZ Auschwitz, 8. Oktober 1942 (sog. “Breslauer Dokumente), Sign.: Archiv des Fritz Bauer Instituts, Smlg FAP 1, AB 1a