„Die Kugel ist schon gegossen“ – rechte Gewalt in der Weimarer Republik

Die Geschichte rechter Gewalt reicht weit zurück. 1918 ist jedoch ein besonderer Einschnitt. Deutschland hat den Ersten Weltkrieg verloren, der Kaiser muss abdanken, die Republik wird ausgerufen. Die erste deutsche Demokratie entsteht. Die Rechte bekämpft von Anfang an die Republik und versucht, sie durch Hetze und Gewalt zu zerstören.

Die vergiftete Republik

Schon bei Geburt der ersten deutschen Republik ist diese vergiftet. Die Generale erfinden die „Dolchstoßlegende“, nach der der kämpfenden, „im Felde unbesiegten Armee“ eine kriegsmüde Bevölkerung „in den Rücken gefallen“ sei. Schuld an dem verlorenen Krieg seien die „Novemberverbrecher“, insbesondere Sozialisten und Sozialistinnen, Juden und Jüdinnen, Pazifisten und Pazifistinnen, Frauenrechtlerinnen, verweichlichte Bürgerliche und die demokratischen Parteien.

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© Deutsches Historisches Museum
Proklamation der Republik durch Philipp Scheidemann vor dem Reichstag

Am 9. November 1918 proklamiert der sozialdemokratische Politiker Philipp Scheidemann die Republik und beendet damit die Monarchie. Kaiser Wilhelm II. muss ins Exil gehen. Scheidemann zieht sich dadurch den Hass von Monarchisten und Monarchistinnen, Nationalisten und Nationalistinnen und Militaristen und Militaristinnen zu, die die Republik nicht anerkennen und wieder beseitigen wollen. 1922 überlebt Scheidemann, inzwischen Oberbürgermeister von Kassel, nur mit Glück ein Blausäureattentat.

Die Gegensätze prallen aufeinander. Nationalisten und Nationalistinnen, Militaristen und Militaristinnen und Monarchisten und Monarchistinnen wollen die alte Ordnung wiederherstellen und hetzen gegen die „Novemberverbrecher“. Besonders die organisierte Arbeiterbewegung wehrt sich gegen die Rückkehr der alten Kräfte und die Wiederherstellung der früheren Zustände, die in den Krieg geführt haben und für den Tod von Millionen Menschen, für Hunger und Elend verantwortlich sind. Sie will die Novemberrevolution fortsetzen und fordert die Sozialisierung der Großindustrie, der Banken und des Großgrundbesitzes. Hunderttausende kommen zu Massendemonstrationen zusammen; in München wird eine Räterepublik ausgerufen.

Die Reichswehr und die nach dem Krieg entstandenen Freikorps beenden diese Phase blutig und sichern sich damit Einfluss und Macht in der neu entstandenen Republik, über der fortan stets die Gefahr eines rechten Putsches schwebt.

Bereits die unerwartete Niederlage des Krieges ist für viele Menschen in Deutschland, die noch im Frühsommer 1918 an einen „Siegfrieden“ glaubten, ein Schock, der sich für sie nur durch die Dolchstoßlegende erklären lässt. Das tatsächliche Ausmaß und die Folgen der militärischen Niederlage werden vielen Deutschen erst Anfang 1919 bewusst, als die Siegermächte ihre Forderungen für einen Friedensvertrag präsentieren, die in den Vertrag von Versailles münden. Der Vertrag wird parteiübergreifend als „Schande“ (1) abgelehnt und zum „größten Unrecht in der Menschheitsgeschichte“ hochstilisiert.

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© Deutsches Historisches Museum

Mit der allgegenwärtigen Dolchstoßlegende – hier in einer Wahlwerbung der Deutschnationalen Volkspartei – wird den Demokraten die Schuld am verlorenen Weltkrieg in die Schuhe geschoben und gegen die Republik gehetzt.

In völliger Realitätsverweigerung fordert die Rechte von der demokratischen Regierung, die Unterzeichnung des Vertrages abzulehnen. Als die Regierung die Realitäten anerkennen und den Vertrag unterzeichnen muss, wird ihr „Verrat“ vorgeworfen. Es gelingt der Rechten, die Niederlage im Krieg, den Versailler Vertrag, die Hungerjahre nach dem Krieg, Inflation und Arbeitslosigkeit, Unruhen und bewaffnete Auseinandersetzungen dem demokratischen System und den verantwortlichen demokratischen Politikern anzulasten. Zugleich bringt sie die Deutschen gegen den „Westen“ und die Siegermächte in Stellung. Demokratie, Menschenrechte, Internationalismus und die westliche Kultur seien Irrwege, die dem deutschen Wesen widersprächen und das deutsche Volk ins Unglück geführt hätten. (2) Umgekehrt verhindert die Empörung über den Vertrag von Versailles die überfällige Auseinandersetzung mit der wilhelminischen Vorkriegs- und Kriegspolitik und dem Nationalismus, der dieser Politik zugrunde lag.

Die antidemokratische Rechte in der Weimarer Republik bestand aus einer Vielzahl nationalistischer, völkischer, monarchistischer und faschistischer Verbände, Parteien und Einzelpersonen. Trotz aller Differenzen war sie sich in grundlegenden Zielen einig:

  • Zerstörung der Demokratie und der republikanischen Staatsordnung – Aufbau einer autoritären Regierung ohne Bindung an Grund- und Menschenrechte
  • Zerschlagung der Arbeiterbewegung
  • massive Aufrüstung und Revanche für die Niederlage im Ersten Weltkrieg
  • Entrechtung und Vertreibung des jüdischen Bevölkerungsteils

Diese Ziele und antidemokratischen Einstellungen wirkten in das konservative und bürgerliche Lager hinein und wurden dort teilweise übernommen.

Siehe dazu auch: 2.9 Der Aufstieg der NSDAP 1929–1933

Die Rechte ist nicht bereit, das entstandene demokratische System zu akzeptieren und sich an die Bestimmungen des Versailler Vertrags zu halten. Sie sinnt auf die Beseitigung der Republik, auf Wiederaufrüstung und Revanche für den verlorenen Krieg.

Erste Putschversuche wie der Kapp-Lüttwitz-Putsch von 1920 und der Hitlerputsch 1923 scheitern noch – teils an demokratischer Gegenwehr, teils am Dilettantismus der Putschisten. Doch die Dolchstoßlegende, die Reden vom „Versailler Schandvertrag“, vom „Verrat,“ von der „Judenrepublik“, von der „nationalen Erhebung gegen den dekadenten Westen“ versprühen auch im weiteren Verlauf der Weimarer Republik ihr Gift. Sie münden in die Theorie vom „Feind im Inneren“, der am verlorenen Krieg und dem ihm folgenden Elend schuld ist und nun verhindert, dass sich das besiegte Deutschland wieder erheben und in einer Welt von Feinden behaupten kann. Die rechte Agitation spaltet, schürt den Hass und legitimiert die Anwendung von Gewalt. Sie wird zum Ausgangspunkt tausender Morde – wie etwa dem Mord an dem Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, der nach einem ersten Attentat weitere Anschläge erwartete und seiner Tochter anvertraute: „Die Kugel, die mich treffen soll, ist längst gegossen“. (3)

Aufstieg der NSDAP

Hitler und die Nationalsozialisten spitzen die rechte Agitation zu einer antisemitischen Verschwörungstheorie zu. Danach ist es das „internationale Judentum“, das im Hintergrund die Fäden zieht und Deutschland durch eine „jüdisch-bolschewistische Verschwörung“ knechten will. Der „innere Feind“ wird dadurch zum Handlanger des äußeren Feindes und seine Vernichtung zu einem Akt der „Notwehr“.

Die Saat geht besonders durch die 1929 beginnende Weltwirtschaftskrise auf, die Millionen Deutsche in Arbeitslosigkeit, Not und Elend stürzt. (1932 ist ein Drittel der arbeitsfähigen Bevölkerung in Deutschland arbeitslos). Es gelingt Hitler, sich dem deutschen Volk als „Retter“ zu präsentieren, der für Deutschlands Wiedergeburt steht, die Schmach des Versailler Vertrags tilgt, die Knechtschaft durch das „Weltjudentum“ beendet und Arbeit und Brot für alle bringt. Hitlers NSDAP steigt von einer Splitterpartei zur meistgewählten Partei Deutschlands auf.

Der Weg in die nationalsozialistische Gewaltherrschaft war nicht unabwendbar. Es gab viele, die – oft unter großen persönlichen Opfern und Risiken – die Demokratie verteidigt haben. Eine herausragende Rolle nimmt dabei der Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch ein, mit dem die junge Demokratie gerettet wurde. Der erfolgreiche Generalstreik ist bis heute eine Sternstunde der deutschen Demokratie.

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„Deutschland den Deutschen“ ist keine Erfindung der NPD, sondern bereits 1919 eine antisemitische Hetzparole

Aus der Geschichte lernen

„Die Weimarer Demokratie ist daran gescheitert, dass es zu wenig Demokraten gab“. Diese weit verbreitete Formel zum Scheitern der Weimarer Republik vernebelt mehr als sie erklärt. Denn tatsächlich zeigen sowohl der Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch als auch die Massendemonstrationen nach der Ermordung Walther Rathenaus beispielhaft, dass Millionen Menschen bereit waren, die Demokratie auch unter größten persönlichen Risiken zu verteidigen. Es sind vielmehr Feindbilder und Ideologien wie Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Antikommunismus, der Wunsch nach völkischer Homogenität und einem autoritären Staat und der Drang nach einer Revanche für den verlorenen Krieg, die die Demokratie vergiften und die Republik zersetzen. Bei diesem Zerstörungswerk stehen die alten Eliten aus Adel, Banken, Großindustrie und Militär an vorderster Stelle. Militär, Polizei und Justiz, die die Demokratie eigentlich schützen sollten, wirken mehrheitlich an deren Beseitigung mit.

Vielfach stellt die Zerstörung der Weimarer Demokratie eine Blaupause für die heutigen Angriffe auf die Demokratie, die Menschenrechte und den Rechtsstaat dar. Aus der Geschichte lernen heißt auch, Parallelen und Zusammenhänge zu erkennen und zu benennen und den Gefahren rechtzeitig zu begegnen.

Mehr zur Weimarer Republik:
Ulrich Herbert: Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, 2014

Quellen, Hinweise und weitere Informationen

(1) Der Vertrag von Versailles wurde nicht nur von rechten Nationalisten und Nationalistinnen und Militaristen und Militaristinnen abgelehnt, sondern auch aus dem demokratischen und linken Spektrum – allerdings aus anderen Gründen. Emil Julius Gumbel, der Chronist der Morde in den Jahren 1918–1922 (siehe dazu Thema 2.8), schreibt zum Beispiel, die Siegermächte hätten die deutschen Demokraten für die Taten der deutschen Nationalisten und Militaristen büßen lassen und damit der Rechten die Instrumente in die Hand gegeben, um die Weimarer Republik zu beseitigen.

(2) Siehe dazu auch unter Kapitel 5. Hintergründe und Analysen „Die aufgezwungene Kultur der Sieger“.

(3) zit. nach: https://www.demokratiegeschichten.de/die-kugel-die-mich-treffen-soll-matthias-erzberger/ Zu Erzberger und den Attentaten gegen Repräsentanten der Weimarer Republik siehe auch: 2.7 Verschwörung gegen die Republik.

 

Fotonachweise:

Proklamation der Republik durch Philipp Scheidemann vor dem Reichstag: © Deutsches Historisches Museum, https://www.dhm.de/lemo/bestand/objekt/proklamation-der-republik-durch-scheidemann-1918.html

Dolchstoßlegende – Wahlwerbung der Deutschnationalen Volkspartei: © Deutsches Historisches Museum, https://www.dhm.de/lemo/bestand/objekt/pli16837

„Deutschland den Deutschen“ ist keine Erfindung der NPD, sondern bereits 1919 eine antisemitische Hetzparole: © Deutsches Historisches Museum, https://www.dhm.de/fileadmin/medien/lemo/images/d2b03490.jpg