Rassismus, Antisemitismus und Sozialdarwinismus – der Weg in den Vernichtungskrieg

Grundlagen rechten Denkens und faschistischer Ideologie

Hitler musste sein Weltbild nicht neu erfinden. Die Rechte war während der Weimarer Republik zwar organisatorisch zersplittert. Dennoch hatte sie in weit verbreiteten rassistischen, sozialdarwinistischen, antisemitischen und antikommunistischen Vorstellungen sowie der Demokratie- und Republikfeindlichkeit eine gemeinsame ideologische Basis, auf die Hitler zurückgreifen konnte. Hitler spitzte den Antisemitismus zu, verband ihn mit dem Antibolschewismus und sozialer Demagogie. Vor allem aber setzte er die Worte in Taten um.

Mit dem Zusammenbruch des NS-Regimes sind Rassismus, Antisemitismus und Sozialdarwinismus nicht verschwunden. Sie bestehen weiter und können besonders in Krisensituationen erneut auf demagogische Weise gegen die Demokratie und die Menschenrechte instrumentalisiert werden. Deshalb dieser Überblick zu den Grundlagen rechten Denkens und rechter Demagogie.

Kurze Geschichte des Rassismus (1)

Über Jahrtausende bekriegten, unterwarfen und versklavten sich die Menschen gegenseitig. Dies war das selbstverständliche Recht des Stärkeren und bedurfte keiner besonderen Rechtfertigung.

Immer wieder wurde dabei dem „Blut“ eine mystische Bedeutung zugemessen: es ist das edle Blut, das besondere Kräfte und Fähigkeiten hervorbringt, das den Herrscher von seinen Untertanen und die Eroberer von den Unterworfenen unterscheidet. Deshalb gab es auch stets die Ideen von der Reinheit und der Reinhaltung des Blutes.

Im Mittelalter kam zum selbstverständlichen Recht des Stärkeren die Vorstellung einer „gottgegebenen Ordnung“, die jedem Menschen seinen Platz zuweist. Weder die gesellschaftliche Ordnung noch das Recht der Herrschenden, Krieg zu führen, bedurften irgendeiner weiteren Begründung. Kriege und Konflikte mit anderen Religionen ergaben sich weniger aus rassistischen Motiven als aus dem Anspruch, die einzig wahre Religion mit Feuer und Schwert zu verbreiten.

Die Vorstellung vom ungleichen Wert der Menschen aufgrund ihrer Herkunft und Hautfarbe bekam mit dem beginnenden Kolonialismus und dem Sklavenhandel eine wachsende Bedeutung: mit der Behauptung, es gäbe unterschiedliche Menschenrassen mit unterschiedlichem Wert, konnten brutale Eroberungen, die Auslöschung weiter Bevölkerungsteile, der beginnende Kolonialismus und der Sklavenhandel legitimiert werden.

Erst die Aufklärung und die Idee von den natürlichen Rechten und Freiheiten der Menschen stellten die Berechtigung der Sklaverei in Frage. Um diesen neuen Ideen entgegenzutreten, reichte der Appell an dumpfe Vorurteile nicht mehr aus. Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts begannen die Versuche, rassistische Vorstellungen „wissenschaftlich“ zu untermauern.

Mit dem Kolonialismus begann die Einteilung der Menschen nach „Rassen“

Die Suche begann bei Äußerlichkeiten. „Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Rasse der Weißen”, schrieb der Philosoph Immanuel Kant. “Die Gelben” hätten schon ein geringeres Talent und die Schwarzen hätten „von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege”. Erst in seinen späten Werken wandte sich der Philosoph der Aufklärung vom Konstrukt einer Hierarchie der „Rassen“ ab. (2)

Weite Verbreitung fanden die Thesen des Plantagenbesitzers Edward Long in der 1774 erschienenen „History of Jamaica“. Long schloss Schwarze Menschen als Teil der Menschheit aus. Wenn aber Schwarze Menschen nicht zur Menschheit gehören, dann stehen ihnen die für Menschen geltenden Rechte nicht zu. (3)

Mit dem wissenschaftlichen Anspruch war zumeist der Versuch verbunden, die Unterschiede zwischen den Völkern und Kulturen biologisch, also als Ergebnis höher- oder minderwertiger rassischer Eigenschaften zu beschreiben. Besonders bedeutsam für die Entwicklung dieses Denkens war der „Grundriss der Geschichte der Menschheit“ des Göttinger Philosophen Christoph Meiners, der von unauslöschlichen Unterschieden der Menschenrassen sprach und behauptete, die Europäer und Europäerinnen seien als „helle schöne Rasse“ den „dunklen hässlichen Rassen“ überlegen. Meiners warnte deshalb vor einer Vermischung „edler“ mit „unedlen Rassen“. (4)

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Konzentrationslager in Deutsch-Südwestafrika: Deutsche Schutztruppensoldaten verpacken Schädel von Herero in Kisten für den Transport nach Berlin

Transport von Schädeln von Afrikanern und Afrikanerinnen nach Deutschland. Dort sollen sie vermessen werden, um die Überlegenheit der „weißen Rasse“ „wissenschaftlich“ zu belegen.

Der gewünschte „Beweis“ der Überlegenheit der „weißen Rasse“ wurde nie erbracht. Die geraubten Schädel sind zum Teil bis heute nicht zurückgegeben.

„Herrenmenschen“ und Sozialdarwinismus – die Radikalisierung des rassistischen Denkens

Im 19. Jahrhundert radikalisierte sich das rassistische Denken. Ein Ausgangspunkt war die am Ende des 18. Jahrhunderts erfolgte Entdeckung einer Verwandtschaft zwischen der altindischen, der gotischen und keltischen Sprache. Diese Gemeinsamkeit in den Sprachen wurde zum Beleg der Rassengleichheit der germanischen Völker mit den Ariern.

Das hellhäutige Volk der Arier kam ursprünglich aus der iranischen Hochebene und unternahm ausgedehnte Raub- und Eroberungszüge. Vor etwa 2500 Jahren unterwarfen sie die dunkelhäutige Bevölkerung Indiens und errichteten das dortige Kastensystem. Das Kastensystem beinhaltete eine strikte Trennung von Eroberern und Unterworfenen, von Herren und Sklaven, bei dem besonders die unterste Schicht der Unterworfenen, die Parias, zugleich wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Stellung als Sklaven und ihrer Armut verachtet wurde. Aus den Raubzügen und Eroberungen der Arier wurde ein „arischer Mythos“ abgeleitet, nach dem die gemeinsame „schicksalhafte“ Bestimmung der germanischen Rasse und ihrer arischen Vorfahren darin besteht, als „Herrenmenschen“ die „Untermenschen“ zu beherrschen. Hitler und die Nationalsozialisten setzten später die „arische Rasse“ mit dem deutschen Volk beziehungsweise mit den Nachfahren der Germanen gleich und stellten ihr die feindliche „jüdische Rasse“ gegenüber. (5)

Noch größeren Einfluss hatte die rassistische Auslegung der Darwin‘schen Evolutionslehre. Danach gelten die von Darwin entdeckten Gesetze der natürlichen Auslese auch für die menschliche Gesellschaft. Deshalb befänden sich die unterschiedlichen „Rassen“ in einem unaufhörlichen „Kampf ums Dasein“, den nur die Stärksten und Reinsten überstehen könnten. Die „weiße“ bzw. „arische Rasse“ befände sich in einem unaufhörlichen Kampf mit den „niederen Rassen“, in dem sie sich entweder durchsetzen oder untergehen werde.

Es begann die große Zeit der „Rassentheoretiker“, an ihrer Spitze Joseph Arthure de Gobineau (1816–1882) und Houston Stewart Chamberlain (1855–1927). In dem vierbändigen Werk „Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen“, erschienen zwischen 1853 und 1855, warnte Gobineau vor einer Vermischung der „Rassen“, die zum „Rassentod“ führen würde und mahnte eine „Rassenhygiene“ an, die sowohl die „Reinhaltung des Blutes“ als auch das Ausmerzen schwacher und kranker Angehöriger der eigenen „Rasse“ beinhaltete. (6)

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Sozialdarwinismus: Nazi-Propaganda zur Vorbereitung der Morde an Menschen mit Behinderung.

Gezeigt wird, wie ohne „Rassenhygiene“ die „Höherwertigen“ (weiß) von den „Minderwertigen“ (Schwarz) in wenigen Generationen verdrängt werden. Ähnliche Statistiken sollen 80 Jahre später belegen, wie die geburtenschwachen „Blutdeutschen“ von den geburtenstarken Migrantinnen und Migranten verdrängt und zu „Fremden im eigenen Land“ gemacht werden.

Antisemitismus

Antisemitische Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert. Dargestellt wird der Griff der Juden nach der Weltmacht.

Chamberlain erklärte die Germanen zum „Schöpfer einer neuen Kultur“, die sich die Erde unterwerfen sollten. Er ist der erste, der den Sozialdarwinismus mit dem Rassenantisemitismus verknüpft: Die legitime Weltherrschaft werde den Germanen, die zugleich das Prinzip des Guten verkörperten, von „Juda“, dem Inbegriff des Bösen, streitig gemacht, weshalb es Juda zu vernichten gelte. Durch diese Verknüpfung gewann er großen Einfluss auf das Denken nationalistischer Kreise wie dem „Alldeutschen Verband“. Chamberlain verband zusätzlich den Judenhass mit dem „arischen Mythos“ und prägte damit entscheidend das Denken Adolf Hitlers und der Nationalsozialisten. Chamberlains Werk legte die geistigen Grundlagen für den Holocaust, den Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden. (7)

Der Nationalismus des 19. und 20. Jahrhunderts hat die Ideen von höher- und minderwertigen „Rassen“, des Kampfes ums Überleben und der dazu erforderlichen „Reinhaltung des Blutes“ auf die Ebene der Nationalstaaten bzw. der Völker übertragen. Damit entstand auch die Idee vom Feind im Inneren, der sich mit fremden Mächten gegen das eigene, im Kampf ums Dasein befindliche Vaterland verbündet. Gemeint waren zunächst die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die sich gegen die zunehmende Militarisierung stellten und ihren eigentlichen Feind nicht in französischen, englischen oder russischen Arbeiterinnen und Arbeitern sahen, sondern im Kapitalismus und Imperialismus. Zugleich richtete sich der Verdacht einer heimlichen Übereinkunft mit dem Feind gegen die Jüdinnen und Juden, die zunehmend als Fremdkörper und im Krieg als dessen „fünfte Kolonne“ gesehen wurden.

Damit waren die Grundlagen für die Dolchstoßlegende geschaffen, nach der der innere Feind, vor allem Sozialistinnen und Sozialisten und Jüdinnen und Juden den Durchhaltewillen in der Heimat untergraben, so dem „im Felde unbesiegten“ Heer in den Rücken gefallen seien und den Sieg Deutschlands vereitelt hätten. (8)

Während der Weimarer Republik gerieten „die Juden“ noch mehr in das Zentrum der Schuldzuweisungen. Dabei wurde bereits offen über die Vernichtung von Juden und Jüdinnen gesprochen. So schrieb der gestürzte Kaiser Wilhelm II 1919 aus seinem niederländischen Exil:

Die tiefste und gemeinste Schande, die je ein Volk in der Geschichte fertiggebracht, die Deutschen haben sie verübt an sich selbst. Angehetzt und verführt durch den ihnen verhaßten Stamm Juda, der Gastrecht bei ihnen genoß. Das war sein Dank! Kein Deutscher vergesse das je, und ruhe nicht bis diese Parasiten von deutschem Boden vertilgt und ausgerottet sind! Während unter Mir, meinen Generalen und Offizieren das tapfere Frontheer die Siege erfocht, verlor das Volk zuhause, von Juda und Entente belogen, bestochen, verhetzt, mit seinen unfähigen Staatsmännern den Krieg. (9)

Am 15. August 1927 schrieb Wilhelm in einem Brief an seinen amerikanischen Freund Pouitney Bigelow:

Die Presse, die Juden und Mücken sind eine Pest, von der sich die Menschheit so oder so befreien muß – I believe the best would be gas. (10)

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© Deutsches Historisches Museum

In der gefälschten Hetzschrift „Protokolle der Weisen von Zion“ werden angebliche jüdische Geheimbündler zitiert, die eine Verschwörung zur Erlangung der Weltherrschaft betreiben.

Antisozialismus und Antikommunismus

Bereits 1848 leitete Karl Marx das „Kommunistische Manifest“ mit den ironischen Worten ein: „Ein Gespenst geht um in Europa. Es ist das Gespenst des Kommunismus“. (11) Das Gespenst des Kommunismus, also die Angst des Adels und des Bürgertums vor dem Verlust ihrer Privilegien, ihres Eigentums und einer Herrschaft des „Proletariats“ bestimmte fortan deren Denken und politisches Handeln.

1878 verabschiedete der Deutsche Reichstag das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“. (12) Das „Sozialistengesetz“, das immer wieder verlängert wurde, hatte bis 1890 Bestand. Es verbot mit Ausnahme der Beteiligung an Reichstagswahlen bei Androhung und Verhängung von Gefängnisstrafen nahezu alle Aktivitäten der sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften. Als „gemeingefährlich“ galt die sozialdemokratische Partei deshalb, weil sie durch die Organisierung der Arbeiter den Kapitalismus überwinden oder zumindest Verbesserungen durchsetzen wollte. Zugleich wurde ihr der „Internationalismus“, also die Ablehnung des sich verbreitenden nationalistischen und völkischen Denkens und die Gegnerschaft zu Militarismus und einem „imperialistischen Krieg“ angelastet. Letzteres brachte ihr den Vorwurf des „Verrats nationaler Interessen“ und die Beschimpfung als „vaterlandslose Gesellen“ ein.

Der Verdacht nationaler Unzuverlässigkeit schwelte weiter, obwohl die Sozialdemokratie nach Beginn des Ersten Weltkrieges mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten und einer Aussetzung von Reichstagswahlen bis zum Kriegsende eine Politik des „Burgfriedens“ eingeschlagen hatte. Das Bild der „Vaterlandsverräter“ schien sich zu bestätigen, als der Sozialdemokrat Scheidemann im Zuge der Novemberrevolution die Republik ausrief und später die Regierung der Weimarer Republik unter Beteiligung der Sozialdemokraten den Versailler Vertrag unterzeichnete.

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Eines der vielen martialischen Plakate der „antibolschewistischen Liga“

Großindustrielle und Bankiers stellten zur „Abwehr der bolschewistischen Gefahr“ Millionenbeträge zur Verfügung

Hitler verband den Antibolschewismus mit dem Antisemitismus und spitzte ihn dadurch noch einmal zu. Er redete von einer „jüdisch-bolschewistischen Verschwörung“, die Deutschland ins Elend stürze. Damit rechtfertigte er 1933 die Beseitigung der Grundrechte und der Demokratie. Mehr und mehr stellte Hitler die Behauptung auf, dass „internationale Finanzjudentum“ habe den Bolschewismus erfunden und die russische Oktoberrevolution initiiert, um mit Hilfe der Bolschewisten nach der Weltherrschaft zu greifen. Am 30. Januar 1939 kündigte er vor dem Reichstag die Vernichtung der Juden an:

Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa. (10)

„Volksgemeinschaft“

Der Begriff der „Volksgemeinschaft“ ist ein Schlüsselbegriff im völkischen Denken und der nationalsozialistischen Propaganda. Er erweckt den Anschein einer harmonischen und konfliktfreien Gemeinschaft, in der politische Differenzen und Klassengegensätze überwunden sind und fand dadurch Anklang in weiten Bereichen der Gesellschaft.

Die Idee der „Volksgemeinschaft“ bindet die Zugehörigkeit an die Abstammung, also das „gemeinsame deutsche Blut“. Ausgeschlossen sind diejenigen, die nicht „deutschen Blutes“ bzw. „arischer“ Abstammung sind. Zu den Ausgeschlossenen gehören Jüdinnen und Juden, Sintizze und Sinti und Romnja und Roma oder Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter aus Osteuropa.

Die nationalsozialistische Version der Volksgemeinschaft sieht diese nicht nur als Blutgemeinschaft, sondern auch als Gesinnungs- und als Kampfgemeinschaft. Zur Volksgemeinschaft als Gesinnungsgemeinschaft gehört, wer die nationalsozialistischen Anschauungen teilt. Als „Volksverräter“ ausgeschlossen sind alle, die sich nicht anschließen und widersprechen. Zur Volksgemeinschaft als Kampfgemeinschaft gehört, wer bereit ist, dem jeweiligen Führer bedingungslos zu folgen und den inneren und äußeren „Feind“ mit allen Mitteln zu bekämpfen.

Die „Volksgemeinschaft“ ist gegliedert in Führer und Gefolgschaft. Entscheidungen fallen nicht nach gesellschaftlicher Diskussion und dem Aushandeln unterschiedlicher Interessen, sondern durch den Entschluss des „Führers“.

Die Existenz unterschiedlicher Interessen, insbesondere ein Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, wird bestritten. Schuld an den vielfältigen und nicht zu leugnenden Problemen sei nicht das „schaffende“ deutsche Kapital, sondern das „raffende“ jüdische Kapital und dessen Handlanger in Arbeiterparteien und Gewerkschaften.

Die NSDAP greift bereits in ihrem Parteinamen den Begriff des „nationalen Sozialismus“ auf, der im 19. Jahrhundert als Gegenpol zum Marxismus entsteht. Der „nationale Sozialismus“ setzt diffuse Ziele wie „die Hingabe an das eigene Volk“ und eine Gemeinschaftsrhetorik wie „Volksgemeinschaft“ an die Stelle der marxistischen Positionen nach Vergesellschaftung der Produktionsmittel, des Klassenkampfes und des Internationalismus.

Die Absage an den Internationalismus bedeutet auch, dass dem Ziel eines gemeinsamen sozialen Fortschritts aller Völker die Auffassung entgegengesetzt wird, Vorteile des eigenen Volkes seien nur zu Lasten anderer Völker zu erreichen. Damit wird der „nationale Sozialismus“ zur Rechtfertigung für Kolonialismus, Imperialismus und militärischer Eroberungen in Europa. Die Eroberungszüge kündigen sich bereits mit einem Begriffswandel an: statt von Staat und dessen festgelegten Staatsgebiet wird zunehmend von Volk und dessen zu erobernden „Lebensraum“ gesprochen. (11)

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Wahlkundgebung der NSDAP: „Jagt die Bonzen aus den Sesseln“ (1932).

Während die NSDAP mit scheinbar antikapitalistischen Parolen auf Stimmenfang geht, lässt sie sie sich von den „Bonzen“ großzügig finanzieren. Spenden erhielt die NSDAP unter anderem von Fritz Thyssen, Fritz Springorum (Hoesch AG), Friedrich Flick, dem Verein Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller, der IG Farben AG, dem Verein für bergbauliche Interessen, Albert Vögler von den Vereinigten Stahlwerken oder Ernst von Borsig. Nach der Machtergreifung schwenkten Großindustrielle wie Gustav Krupp von Bohlen und Halbach rasch auf die Unterstützung Hitlers ein.

Die Idee der Volksgemeinschaft war bereits im Kaiserreich, vor allem aber in der Weimarer Republik höchst populär und hat erheblich zu den Wahlerfolgen der NSDAP beigetragen. Allerdings hat gerade die schamlose Bereicherung vieler Nazi-Funktionäre vom Ortsleiter aufwärts (die ihnen die Bezeichnung „Goldfasane“ eingebracht hat) und die willkürliche Ausübung ihrer Macht die Illusion einer „Volksgemeinschaft“ unter brauner Herrschaft in den Augen vieler Menschen zerstört.

Volk und Raum – der Weg in den Vernichtungskrieg

Als Hitler 1919 die politische Bühne betritt, findet er ein Sammelsurium von rassistischen, völkischen, antisemitischen, sozialdarwinistischen, nationalistischen, kolonialistischen, antidemokratischen und antisozialistischen Vorstellungen vor. Dieser im 19. Jahrhundert angehäufte „Ideenschutt“ (Hitler-Biograf Joachim C. Fest), aus dem sich nationalistische, völkische und faschistische Konzepte herausbilden, ist tief in weiten Teilen der Bevölkerung verankert. Er muss von Hitler nicht neu erfunden, sondern nur möglichst eingängig vorgetragen, häufig wiederholt und demagogisch zugespitzt werden.

Nach der Eroberung und Sicherung der Macht beherrscht Hitlers Denken und Handeln neben dem Rassenantisemitismus immer mehr der „Kampf um Lebensraum“. Für Hitler besteht das grundlegende Gesetz der Geschichte darin, dass im immerwährenden Kampf ums Überleben nur denjenigen Völkern die Selbsterhaltung möglich ist, die genügend Lebensraum mit entsprechenden Ressourcen erobern. Allein aufgrund des begrenzten Raumes sei dieser Kampf stetig und unvermeidlich und durch keine Vereinbarungen oder Friedensordnung zu ersetzen.

Hitler sieht den Lebensraum für das deutsche Volk nicht in außereuropäischen Kolonien, sondern in Osteuropa. Dieser „Lebensraum“ kann nur durch Krieg erobert werden. Dieser Krieg soll mit der Vertreibung, Versklavung und Vernichtung der dort lebenden Bevölkerung enden, die Hitler und den Nationalsozialisten als minderwertig und deshalb rechtlos gilt. In der antislawischen und antipolnischen Tradition Preußens, in der einzig die Deutschen als „Kulturträger“ gelten, kann er den Rassismus, der sich bisher vor allem in der Verachtung von Menschen mit dunkler Hautfarbe und dem Judenhass gezeigt hat, bruchlos auf die Vorstellung vom „deutschen Herrenmenschen“ und „slawischen Untermenschen“ übertragen.

Hitlers Forderung nach „Lebensraum“ ist nicht neu, sondern gehört seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu den Standardformeln völkischer und nationalistischer Gruppen und Bewegungen. So schrieb der „Alldeutsche Verband“ 1896:

Der alte Drang nach Osten soll wieder lebendig werden. Nach Osten und Südosten hin müssen wir Ellbogenraum gewinnen, um der germanischen Rasse diejenigen Lebensbedingungen zu sichern, deren sie zur vollen Entfaltung ihrer Kräfte bedarf, selbst wenn darüber solch minderwertige Völklein wie Tschechen, Slowenen und Slowaken ihr für die Zivilisation nutzloses Dasein einbüßen sollten. (12)

Das Ziel, ein „tausendjähriges Reich“ durch Gewalt und Unterdrückung in einem Vernichtungskrieg zu errichten, hat auch Konsequenzen nach Innen. Erforderlich ist dazu aus Sicht der Nationalsozialisten ein Volk, das militärisch stark ist, geschlossen seinem Führer folgt, sein „Blut“ rein und frei von fremden Einflüssen hält und so durch eine positive Auslese den unterworfenen Nachbarn stets überlegen bleibt. Umgekehrt muss konsequent alles ausgeschaltet werden, was das eigene Volk schwächen könnte – also jeder Widerspruch und jede Opposition, jede unerwünschte und abweichende Lebensführung ebenso wie Kranke, Schwache und Behinderte, die ihre negativen Erbeigenschaften weitergeben und somit die „Zucht“ einer arischen Krieger- und Herrenrasse gefährden könnten. Genau dies beinhaltet der Begriff der „Rassenhygiene“.

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© Deutsches Historisches Museum
Antibolschewistisches Plakat

Nach der Kriegswende wandelt sich die Propaganda. Sie setzt nun vor allem darauf, die verbreiteten Ängste vor dem Bolschewismus zu nutzen, um die eigenen Verbrechen zu vertuschen und den Durchhaltewillen in der Bevölkerung zu stärken.

Ein verbreitetes Motiv ist die Angst vor Mord und Vergewaltigung durch die „Untermenschen“. Dieses Motiv wird 2015 wieder aufgegriffen, um Ängste vor Geflüchteten zu schüren und Gewalt gegen sie zu rechtfertigen.

Hitler sieht die „natürliche Lebensform“ der „Rasse“ von einer Welt von Feinden bedroht, die an die Stelle des Volkes als Blut- und Gesinnungsgemeinschaft und des Führerprinzips den Internationalismus, den Pazifismus, die Demokratie und die Idee der Gleichheit der Menschen setzen wollen. Und Hitler ist überzeugt, dass hinter all diesen zersetzenden Ideen das internationale Judentum steht, das als Parasit in die Völker eingedrungen ist und nun im Hintergrund die Fäden zieht. Ein entscheidender Schachzug des internationalen Judentums im Kampf um die Weltherrschaft sei die bolschewistische Revolution in Russland gewesen, die nun ihre Fänge nach Deutschland auswirft. Aus dieser Sicht wird die restlose Vernichtung einer “parasitären Rasse”, die auf versteckte und heimtückische Weise die Weltherrschaft erobern und das deutsche Volk zerstören will, zu einem unvermeidlichen Akt der Selbsterhaltung.

Tatsächlich geht die Verschwörung gegen die bestehende Friedensordnung jedoch von Hitler und seinen zahlreichen Unterstützern aus, die er innerhalb und außerhalb Deutschlands findet. Dabei beschränken sich Hitlers Pläne durchaus nicht auf die Unterwerfung Osteuropas. Zusammen mit seinen wichtigsten Verbündeten, dem faschistischen Italien und dem nach Vorherrschaft in Asien strebenden Japan will er eine imperiale Neuordnung der Welt durchsetzen, in der der sowjetische Kommunismus beseitigt und die liberalen westlichen Demokratien entscheidend geschwächt sind. Im Zuge dieser immer mehr auf Gewalt setzenden Politik überfällt Italien 1935 Abessinien, Japan lässt dem Einmarsch in die Mandschurei von 1931 den Krieg gegen China folgen, Nazideutschland besetzt weite Teile Europas. Die faschistischen Eliten in Berlin, Rom und Tokio gehen immer mehr zu einem Wettlauf der Menschenverachtung, der Aggression, der Massaker und der Vernichtung über, in dem sie ihre Identität sehen und sich gegenseitig als Gleiche erkennen. (13)

Quellen, Hinweise und weitere Informationen

(1) Grundlegend: Imanuel Geiss, Geschichte des Rassismus, Suhrkamp 1988

(2) Kant zitiert nach: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-06/rassismus-ideologie-nationalsozialismus-rassentheorie-antike-mittelalter-genetik

(3) Siehe Geiss, S. 159/160

(4) Siehe Geiss, S.161

(5) Zum „arischen Mythos“ siehe Geiss S.162–165; ausführlich Poliakov: Der arische Mythos – Zu den Quellen von Rassismus und Nationalismus, 1993. Einige Aspekte der Aneignung des „arischen Mythos“ durch die Nationalsozialisten erläutert anschaulich ein Video von ARTE: Blut und Boden – Nazi-Wissenschaft, https://www.youtube.com/watch?v=efSPsAaKqn8

(6) Siehe dazu: Geiss, 167 ff

(7) Zu Chamberlain siehe Geiss 173 ff; eine Zusammenfassung zu Chamberlains Werk und Einfluss findet sich unter: https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/houston-stewart-chamberlain/

(8) Siehe dazu auch Thema 2.2: Die Kugel ist schon gegossen

(9) Siehe dazu: Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages: https://www.bundestag.de/resource/blob/413384/3c88becac46c9ce290f4567d00a96e8a/WD-1-172-07-pdf-data.pdf, Zitat S.11

(10) Zit. nach Süddeutsche Zeitung, 27.1.2009

(11) Manifest der Kommunistischen Partei, erschienen 1848

(12) Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie. Gesetzestext unter: http://www.documentarchiv.de/ksr/soz_ges.html

(9) Mehr zur antibolschewistischen Liga: https://www.veikkos-archiv.com/index.php?title=Antibolschewistische_Liga

(10) zit. nach: Ulrich Herbert, Wer waren die Nationalsozialisten, Beck-Verlag 2021, S.80

(11) Zum Thema Volksgemeinschaft ausführlich: Ulrich Herbert, Wer waren die Nationalsozialisten, Kapitel 10

(12) zit. nach: Rainer Hering: Konstruierte Nation. Der Alldeutsche Verband 1890 bis 1939. Hamburg 2003, S. 121.

(13) siehe dazu: Daniel Hedinger: Die Achse. Berlin-Rom-Tokio, C.H. Beck, 2021 

 

Fotonachweise:

Mit dem Kolonialismus begann die Einteilung der Menschen nach „Rassen“: Unknown photographer, Karl Ernst von Baer Types Principaux des Differents Race Humaines, Galerie Bassenge, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17376739

Konzentrationslager in Deutsch-Südwestafrika: Deutsche Schutztruppensoldaten verpacken Schädel von Herero in Kisten für den Transport nach Berlin: Unbekannt, Meine Kriegserlebnisse in Deutsch-Südwest-Afrika Von einem Offizier der Schutztruppe, Minden i.W. 1907, Symp 300 swakop kz schaedel, gemeinfrei, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=3498352

Sozialdarwinismus. Nazi-Propaganda zur Vorbereitung der Euthanasie: Bundesarchiv, Bild 102-16748 / Georg Pahl, Ausstellung “Wunder des Lebens”, CC BY-SA 3.0 DE, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5415569

Antisemitische Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert. Dargestellt wird der Griff der Juden nach der Weltmacht: „La Libre Parole”, 1893 La-Libre-Parole-antisemitische-Karikatur, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1893_La-Libre-Parole-antisemitische-Karikatur.jpg

In der gefälschten Hetzschrift „Protokolle der Weisen von Zion“ werden angebliche jüdische Geheimbündler zitiert, die eine Verschwörung zur Erlangung der Weltherrschaft betreiben: © Deutsches Historisches Museum, https://www.dhm.de/lemo/bestand/objekt/theodor-fritsch-die-zionistischen-protokolle-das-programm-der-internationalen-geheim-regierung-1924

Eines der vielen martialischen Plakate der „antibolschewistischen Liga“: Stephan Samuel Krotowski (Berlin 1881-1948 London), Stephan Krotowski – Tretet der Antibolschewistischen Liga bei, 1919, https://www.leo-bw.de/web/guest/detail/-/Detail/details/DOKUMENT/wlb_plakate/00002163/Tretet%20der%20Antibolschewistischen%20Liga%20bei, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=77818348

Wahlkundgebung der NSDAP: „Jagt die Bonzen aus den Sesseln“ (1932): Bundesarchiv, B 145 Bild-P046283 / Weinrother, Carl, Berlin, Sportpalast, Wahlkundgebung der NSDAP, CC BY-SA 3.0 DE, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5474741

Antibolschewistisches Plakat: © Deutsches Historisches Museum, https://www.dhm.de/lemo/bestand/objekt/sieg-oder-bolschewismus-1943.html