Brandanschläge auf Migrant*innen und Asylbewerber*innen
Bei Brandanschlägen und anderen Angriffen auf Migrant*innen, Asylbewerber*innen und Geflüchtete zeigt sich der Zusammenhang von Gewalttaten und der Aufheizung der öffentlichen Stimmung, also von geistiger und realer Brandstiftung. Dies wird besonders in den Jahren nach der Wende ab 1990 und nach den Fluchtbewegungen ab 2015 deutlich.
Brandanschläge in den 1990ern
In den 1990er Jahren kommt es zu einer Reihe von Brandanschlägen und zahlreichen rassistischen Übergriffen, die sich vor allem gegen Migrant*innen und Asylbewerber*innen richten. Dafür stehen beispielhaft die Brandanschläge in Mölln, Solingen, Lübeck und Lampertsheim.
Demonstration vor dem ausgebrannten Haus der Familie Genç
Der Anschlag von Mölln (1)
In der Nacht zum 23. November 1992 werfen zwei Neonazis im schleswig-holsteinischen Mölln Brandsätze in die Häuser zweier türkischer Familien. Die zehnjährige Yeliz Arslan, die 14-jährige Ayşe Yılmaz und die 51-jährige Bahide Arslan ersticken in den Flammen. Neun weitere Menschen werden bei den Bränden schwer verletzt. Bei Polizei und Feuerwehr geht ein anonymer Anruf ein, der über den Brand informiert und mit den Worten „Heil Hitler“ endet. Lars C. und Michael P., die der Skinhead-Szene zugeordnet werden, werden wenige Tage nach der Tat festgenommen. Lars C. wird später zu lebenslanger Haft, Michael P. zu einer Jugendstrafe von 10 Jahren verurteilt.
Der Anschlag erregt weltweit Aufsehen und Entsetzen – nicht zuletzt deshalb, weil er in Zusammenhang mit den Pogromen von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen gesehen und mit der bangen Frage verknüpft wird, wohin das gerade wiedervereinigte Deutschland steuert.
Der Brandanschlag von Solingen (2)
Beim Brandanschlag auf das Haus der Familie Genç am 29. Mai 1993 in Solingen sterben Hülya Genç (9 Jahre), Gülüstan Öztürk (12), Hatice Genç (18), Gürsin İnce (27) und Saime Genç (4). Bekir Genç und ein dreijähriges Mädchen, das zu Besuch war, erlitten schwerste Brandverletzungen. Die Täter – zur Tatzeit 16, 17, 20 und 23 Jahre alt – kamen aus der Nachbarschaft. Sie wollten „den Türken einen Denkzettel verpassen“ und deshalb „ein Haus anzünden“. Nach diesem Entschluss wurde Benzin beschafft, großflächig vor dem Hauseingang verteilt und in Brand gesetzt, der sich rasend schnell ausbreitete.
Der Prozess gegen die vier Täter von Solingen dauerte, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, 18 Monate.
Es zeigte sich dabei, was sich später bei ausländerfeindlichen Anschlägen immer wieder zeigte: Fehler über Fehler der Ermittlungsbehörden. Das Gericht stand vor einem Abgrund von Dilettantismus: Gesprächsprotokolle waren nicht geführt, Brandschutt war nicht gesichert worden; es gab keine Sachbeweise, keine Fingerabdrücke, keine Fußspuren. Dem Kompetenzgerangel zwischen örtlicher Polizei und Bundeskriminalamt waren die simpelsten Ermittlungsgrundsätze zum Opfer gefallen. (3)
Der Strafsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts verurteilt letztlich die Brandstifter wegen 5-fachen Mordes und 14-fachen Mordversuchs zu einmal 15 und dreimal zehn Jahren Haft. Als Tatmotiv benennt das Gericht Ausländerhass.
Der Brandanschlag in der Lübecker Hafenstraße (4)
Am 18. Januar 1996 sterben 10 Menschen bei einem Brand in einer Geflüchtetenunterkunft in der Hafenstraße in Lübeck. Es sind sieben Kinder und drei Erwachsene, die verbrennen oder ersticken: Monica Maiamba Bunga; Nsuzana Bunga; Christine Makodila; Christelle Makodila Nsimba; Sylvio Bruno Comlan Amoussou; Rabia El Omari; Françoise Makodila Landu; Jean-Daniel Makodila Kosi; Legrand Makodila Mbongo; Miya Makodila. 39 weitere Menschen werden teils schwer verletzt.
Der Brandanschlag ist bis heute nicht juristisch aufgearbeitet. Noch in der Brandnacht werden drei junge Neonazis festgenommen, die von Zeugen am Brandort gesehen wurden. Ein vierter Verdächtiger wird noch am selben Tag festgenommen. Ein Gerichtsmediziner stellt bei drei der Verdächtigen frische Brandspuren fest. Dennoch werden sie aufgrund eines zweifelhaften Alibis wieder freigelassen. Eine Anklage wird nicht erhoben, obwohl später einer der Verdächtigen ein Schuldbekenntnis ablegt. Gegenwärtig fordert ein breites Bündnis in einer Petition eine neue Untersuchung der damaligen Vorgänge.
Der Brandanschlag auf ein Wohnheim für Asylbewerber*innen in Lampertheim 1992 (5)
Auch in Hessen kommt es zu einer Reihe von Gewaltakten. In den frühen Morgenstunden des 31. Januars 1992 wird ein Brandanschlag auf ein Wohnheim für Asylbewerber*innen in Lampertheim verübt. Das Haus brennt bis auf die Grundmauern ab. Siebzehn Bewohner*innen können sich aus dem Haus retten. Drei Menschen, ein Ehepaar aus Sri Lanka und sein 13 Monate altes Baby kommen ums Leben:
Muhammad Muadh Mohideen
Mohamed Mulaffar Mohideen
Zeenathul Nelofa Mohideen
Polizei und LKA erklären wenige Tage nach der Tat, dass es keine Hinweise auf Brandstiftung gebe. Neun Monate später erhält die Polizei jedoch einen entscheidenden Hinweis, so dass im Herbst 1992 drei Jugendliche als die Brandstifter ermittelt werden. Als Tatmotiv geben sie an, ‘herumgeblödelt’ zu haben. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt folgt ihren Aussagen und verurteilt sie wegen fahrlässiger Brandstiftung. Da bei keinem der Täter ein rechtsextremer Vorlauf festgestellt werden könne, wird das Tatmotiv Fremdenfeindlichkeit ausgeschlossen. Drei Jahre später werden die Täter vom Landgericht Darmstadt wegen gemeinschaftlicher schwerer Brandstiftung verurteilt. Die Haftstrafen liegen zwischen vier Jahren und sechs Monaten und fünf Jahren und sechs Monaten.
In der Region gab es zu dieser Zeit eine aktive Neonazi-Szene. 1989 feierte sie zusammen mit führenden Neonazis aus ganz Deutschland im Odenwald den hundertsten Geburtstags Adolf Hitlers. Im September 1991 gab es mehrere Brandanschläge auf Wohncontainer in der Gemeinde Lampertheim, in denen Geflüchtete untergebracht werden sollten. Ende 1991 wurden rechtsextreme Täter bei einem Brandanschlag auf das Asylbewerberheim im benachbarten Bensheim festgenommen.
In der Statistik des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist im Jahr 1992 von siebzehn Toten aufgrund von Übergriffen mit rechtsextremistischer Motivation die Rede. Die Toten von Lampertheim sind nicht darunter. Eine Anfrage der PDS/Linke Liste führt zu keiner Neubewertung.
Kein „Beileidstourismus“
Hintergrund der Anschläge ist eine aufgeheizte Debatte um Migration und Asyl. Allein im Zeitraum von 1989 bis 1992 kommen mehr als eine Million Spätaussiedler*innen vor allem aus Polen und der früheren Sowjetunion nach Deutschland. Von 1991 bis 1995 nimmt Deutschland rund 400 000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien auf.
Dieser Zustrom fällt in die Phase nach der deutschen Vereinigung, in der nach der ersten Euphorie immer mehr die zunächst verdrängten Probleme wie eine wachsende Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern spürbar werden. Teile der Politik, der Medien und der Bevölkerung machen für diese Probleme Migrant*innen und Asylsuchende verantwortlich und lenken Unmut und Wut auf das Asylrecht. Die Gewalttaten häufen sich.
Allein im Jahr 1991 gibt es laut Auskunft der Bundesregierung bis zum 3. Dezember bereits 2074 fremden- und ausländerfeindliche Straftaten im Bundesgebiet, darunter 325 Brandanschläge und 188 Angriffe gegen Personen. (6)
Die Reaktion führender Politiker*innen auf die Anschläge ist unterschiedlich. Während etwa der damalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und spätere Bundespräsident Johannes Rau nach den Solinger Anschlägen die Überlebenden der Familie Genç aufsucht und Trost zu spenden versucht, weigert sich der damalige Bundeskanzler Kohl, an der Trauerfeier teilzunehmen. Kohl lässt seinen Regierungssprecher Vogel auf die „weiß Gott anderen wichtigen Termine“ des Kanzlers verweisen und hinzufügen, man wolle nun nicht in „Beileidstourismus“ verfallen. (7)
Neue Welle der Gewalt ab 2015
2015 kommen rund eine Million Geflüchtete nach Deutschland. Sie sind Teil weltweiter, rund 70 Millionen Menschen umfassender Fluchtbewegungen, die durch Kriege, Vertreibungen, Hunger und Armut, den Klimawandel und die Missachtung der Menschenrechte ausgelöst werden. Die Geflüchteten, die in Deutschland ankommen, werden von großen Teilen der Bevölkerung mit Wohlwollen und Hilfsbereitschaft aufgenommen. Zugleich aber nehmen Anfeindungen, Hass und Hetze zu und entladen sich in Gewalt, die bis heute anhält. Allein 2015 gab es mehr als 2500 Angriffe auf Geflüchtete und Geflüchtetenunterkünfte, dabei immer wieder Brandanschläge.
Bedrohungsszenario vor Geflüchtetenunterkunft:
Fackelmarsch gegen Asylbewerber*innen
Mangelnde Aufklärung
Nach dem sprunghaften Anwachsen der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und besonders der Brandanschläge recherchierte die „Zeit“ zur Frage: werden die Täter ermittelt, gefasst und verurteilt? „Die Antwort ist für uns ziemlich erschütternd“, schreibt das Rechercheteam, das aus den 2500 Angriffen im Jahr 2015 222 besonders gefährliche Attacken herausgesucht und diese genauer untersucht hat. Das Ergebnis: im Jahr 2015 gab es nur vier Verurteilungen und acht Anklagerhebungen.
Die Vielzahl der Angriffe und die mangelnde Aufklärung haben, so das Rechercheteam, eine Reihe von Gründen. Vielfach fehlen gerade bei abseits gelegenen Unterkünften elementare Sicherheitseinrichtungen wie Videokameras. Die Polizei wurde ausgedünnt und kann aufgrund der personellen Situation wenig Präsenz zeigen und nicht umfangreich ermitteln. Zudem fehlen häufig Brandsachverständige.
Dazu kommt das gesellschaftliche Klima: Es gibt auch
viele Nachbarn, die sich anscheinend nicht daran stören, dass eine Unterkunft oder ein unbewohntes Gebäude, das eine Unterkunft werden soll, abbrennt oder zerstört wird. Die Polizei trifft oft auf eine Mauer des Schweigens.“ Umgekehrt gilt auch: „Wenn man beständig davon redet, dass man Schwierigkeiten mit den Flüchtlingen hat, dann bestätigt man Täter, die denken, sie würden den Volkswillen erfüllen, wenn sie solche Einrichtungen angreifen. (8)
Mahnmal zum 25. Jahrestag des Brandanschlags auf die Familie Genç
Videos zu Brandanschlägen:
Rostock-Lichtenhagen: https://www.youtube.com/watch?v=3d55lApFuiU
Quellen, Hinweise und weitere Informationen
(1) Zum Anschlag von Mölln siehe: https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Brandanschlag-von-Moelln-1992-Neonazis-ermorden-drei-Menschen,moelln157.html
(2) Zum Brandanschlag von Solingen siehe: https://www.spiegel.de/panorama/der-denkzettel-a-3cc0ef22-0002-0001-0000-000027232462?context=issue
(3) https://www.sueddeutsche.de/politik/brandanschlag-von-solingen-1993-rechtsextremismus-1.1683458-2
(4) https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/der-rassistische-brandanschlag-in-der-luebecker-hafenstrasse-muss-endlich-staatlich-anerkannt-werde-65441/; https://weact.campact.de/petitions/hafenstrassenmordunvergessen-10-facher-rassistischer-mord-tat-und-ermittlungen-endlich-aufklaren-1
(5) Zum Brandanschlag von Lampertheim siehe:
https://taz.de/Drei-Tote-bei-Brand-in-Fluechtlingsheim/!1684536/
(7) Zitiert nach: Süddeutscher Zeitung, Anm. 3
(8) Die Recherche der ZEIT findet sich unter: https://www.deutschlandfunk.de/gewalt-gegen-fluechtlinge-diese-verbrechen-werden-nicht.694.de.html?dram:article_id=338669
Fotonachweise:
Demonstration vor dem ausgebrannten Haus der Familie Genç: Sir James, Brandanschlag solingen 1993, CC BY-SA 2.0 DE, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4119365
Bedrohungsszenario vor Geflüchtetenunterkunft: Fackelmarsch gegen Asylbewerber*innen: IMAGO / Christian Mang, https://www.imago-images.de/
Mahnmal zum 25. Jahrestag des Brandanschlags auf die Familie Genç: Frank Vincentz, Solingen – Mahnmal Solinger Bürger und Bürgerinnen 04 ies, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6033457