Die Baseballschlägerjahre

Nach der deutschen Vereinigung 1990 kommt es zu einer Welle rechter Gewalt, die bis heute anhält. Die Gewalttaten konzentrieren sich zunächst auf die neuen Bundesländer, breiten sich aber rasch auf ganz Deutschland aus. Dennoch wird die Gefahr, die von rechter Gewalt ausgeht, immer wieder verharmlost.

Eines der ersten rechten Mordopfer nach der Wende: Amadeu Antonio

Amadeu Antonio stammt aus Angola. Er ist wie andere Angolaner*innen, Mozambikaner*innen und Vietnames*innen Vertragsarbeiter in der DDR. Nach der Wiedervereinigung werden diese Vertragsarbeiter*innen zur Zielscheibe offener rassistischer Hetze und Angriffe.

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Eine Gedenktafel in Eberswalde erinnert an den rassistischen Anschlag auf Amadeu Antonio

Am 24. November 1990 zieht eine Gruppe von 50-60 Neonazis grölend durch Eberswalde (Brandenburg) mit der Absicht Schwarze Menschen anzugreifen. Unbehelligt von der Polizei überfallen sie einen Treffpunkt Schwarzer Vertragsarbeiter*innen und verletzen mehrere schwer. Amadeu Antonio wird von 10 Nazis verfolgt und vor den Augen dreier tatenloser Polizist*innen zu Tode geprügelt. (1)

Die Tat wird zum fatalen Signal. Sie bestärkt Neonazis und rechte Skinheads in der Annahme, dass sie sich im Deutschland nach der Wende in SA-Manier zusammenrotten, Angst und Schrecken verbreiten und unliebsame Menschen zusammenschlagen können, ohne von der Polizei daran ernsthaft gehindert zu werden.

Die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen

Dieses Signal wird durch weitere Morde, vor allem aber durch die Pogrome von Hoyerswerda (1991) und Rostock-Lichtenhagen (1992) verstärkt, bei denen ein Wohnblock von Vertragsarbeiter*innen und Asylbewerber*innenheime von Neonazis angegriffen und in Brand gesetzt werden. Die Polizei bleibt gegenüber der rechten Gewalt lange untätig und ist erst nach Tagen in der Lage, die Angriffe und Brandanschläge zu beenden. Anwohner*innen spenden den rechten Angreifer*innen Beifall, beteiligen sich an den Gewalttaten und hindern die Feuerwehr, Brände zu löschen und Menschen in Lebensgefahr zu retten. Zuletzt beugen sich Staat und Politik dem rechten Mob, indem sie Asylbewerber*innen und Vertragsarbeiter*innen aus der Stadt schaffen lassen. Neonazis und Skinheads können daraufhin Hoyerswerda und Rostock zu „ausländerfreien Zonen“ erklären und sich daran machen, weitere „national befreite Zonen“ zu schaffen. Fast alle beteiligten Neonazis kommen straffrei davon. Dagegen werden fast alle der angegriffenen Vertragsarbeiter*innen in den folgenden Wochen abgeschoben. Zugleich wird auf politischer Ebene das Grundrecht auf Asyl ausgehöhlt. (2)

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Die Baseballschlägerjahre

Seit 1990 gibt es über 200 Todesopfer rechter Gewalt. In den meisten Fällen werden wehrlose Opfer ausgesucht, die oft von mehreren Tätern vor der Ermordung stundenlang gequält werden. Zum Opfer werden vor allem Migrant*innen und Asylbewerber*innen, besonders Menschen mit dunkler Hautfarbe, Obdachlose, kranke und behinderte Menschen, politische Gegner*innen, Punker*innen, aber auch Juden*Jüdinnen, Polizist*innen und Unbeteiligte. Die häufigsten Tatmotive sind Rassismus, Sozialdarwinismus sowie die Demonstration der Stärke der Täter und der Schutzlosigkeit der Opfer. Häufig geht es auch „nur“ darum, die Lust am Demütigen, Quälen und Töten auszuleben oder die Opfer zu berauben. Zu den Morden kommen Tausende weiterer Gewalttaten, Drohungen, Demütigungen und Brandanschläge.

Häufig werden von weiten Teilen der Politik und der Öffentlichkeit Morde und Gewalttaten relativiert und verharmlost und ein rassistischer oder politischer Hintergrund abgestritten. Dies trägt dazu bei, die Opfer schutzlos zu stellen und ihnen Solidarität und Unterstützung zu verweigern. Besonders in den neuen Bundesländern beherrschen Neonazis und Skinheads mit ihren Baseballschlägern viele öffentliche Plätze und stellen eine ständige Bedrohung für Menschen dar, die nicht in ihr Weltbild passen. (3)

Empfehlung:

Baseballschlägerjahre – eine Dokumentation und Reportage des rbb, gesendet am 2.12.2020, https://www.rbb-online.de/doku/b/baseballschlaegerjahre.html

Die Dokumentation zeichnet die rechte Gewalt der 90er, die allgegenwärtige Bedrohung linker Jugendlicher, Migrant*innen und Asylbewerber*innen, die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen und vielfach auch das Versagen der Sicherheitsbehörden in Wort und Bild nach. Auf den #Baseballschlägerjahre des ZEIT-Journalisten Christoph Bangel haben sich viele damals Betroffene gemeldet und von ihren eigenen Erfahrungen berichtet.

Quellen, Hinweise und weitere Informationen

(1) eine ausführliche Darstellung findet sich bei: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/amadeu-antonio/erschlagen-vom-nazi-mob-waehrend-die-polizei-zusah/

(2) In einer Bildreportage zeichnet die Süddeutsche Zeitung „Die furchtbaren Tage von Rostock“ nach: https://www.sueddeutsche.de/politik/rechtsextremer-pogrom-1992-die-furchtbaren-tage-von-rostock-lichtenhagen-1.1443392; zu den Pogromen von Hoyerswerda siehe: https://www.deutschlandfunkkultur.de/rassistische-ausschreitungen-in-hoyerswerda-100.html

(3) Im Link: #Baseballschlägerjahre berichten Betroffene von ihren Erlebnissen

 

Fotonachweise:

Eine Gedenktafel in Eberswalde erinnert an den rassistischen Anschlag auf Amadeu Antonio: Hao Xi (对话页 贡献), Gedenktafel Amadeu Antonio Eberswalde, CC BY-SA 3.0 DE, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=57120004

 

Die Baseballschlägerjahre: IMAGO / Rüdiger Wölk, https://www.imago-images.de/