1980 – das Jahr des rechten Terrors

Schon bald nach dem Ende des Krieges und der Zerschlagung des NS-Regimes entstehen neue Zusammenschlüsse von Nationalsozialist*innen und extremen Rechten. Sie erproben unterschiedliche Strategien, um wieder an Bedeutung zu gewinnen. Ab 1970 setzen sich militante Strömungen durch. Die wachsende Gewaltbereitschaft mündet 1980 in das Jahr des rechten Terrors.

1952 – Waffen und Todeslisten für den Tag X

Eine Schlüsselrolle bei der Wiederherstellung rechter Strukturen nach Gründung der Bundesrepublik spielt zunächst die offen nazistische Sozialistische Reichspartei, die 1952 verboten wird. Allerdings folgen auf Verbote immer wieder Neugründungen wie die der „Wiking-Jugend“, die bis zu ihrem Verbot 1994 die zentrale Anlaufstelle für eine Vielzahl von Neonazis wird. (1)

Im Oktober 1952 rückt der südhessische Ort Wald-Michelbach im Odenwald in das Zentrum bundesweiter Aufmerksamkeit. (2) Dort wird in einem Haus am Waldrand ein Waffenlager von Neonazis ausgehoben. Es finden sich vollautomatische Waffen, Granatwerfer, Sprengstoff und Pistolen mit Schalldämpfern. Die Gruppe, die sich mit Gleichgesinnten in den Wäldern auf einen Umsturz vorbereitet, ist bundesweit vernetzt. Für den Tag X, an dem sie losschlagen will, hat sie Todeslisten erstellt.
Auf den Todeslisten befinden sich detaillierte Angaben mit Namen, Adressen und biographischen Daten missliebiger Personen – von rund 80 Sozialdemokrat*innen, Kommunist*innen und Gewerkschafter*innen, aber auch von Ministern der Hessischen Landesregierung und Abgeordneten des Landtags. Ministerpräsident Zinn, der vor der parallel stattfindenden Sitzung des Hessischen Landtags vom amerikanischen Geheimdienst von der bevorstehenden Durchsuchung in Kenntnis gesetzt wird, informiert die Abgeordneten des Landtags noch auf der Sitzung. Zinn spricht von mindestens 1000 Angehörigen der Organisation, vor allem ehemalige Offiziere der Wehrmacht und der Waffen-SS. (3)

Die Aufregung und Empörung im Landtag sind groß. Zinn sichert den Abgeordneten eine vollständige Aufklärung zu. Ein Untersuchungsausschuss wird eingerichtet.

Der deutsch-amerikanische Untersuchungsausschuss ist, wie der „Spiegel“ vermerkt, schon nach wenigen Wochen „entschlafen“. Akten sind verschwunden. Der Ermittlungseifer lässt weiter nach, als klar wird, dass auch deutsche Geheimdienste und V-Leute beteiligt sind. (4)

Manche Parallelen zur Gegenwart sind gespenstisch“, fasst der Journalist Martin Steinhagen zusammen: „Die Feindeslisten, die Waffendepots, die Vorbereitungen und Fixierung auf einen Tag X, die paramilitärischen Strukturen, die Verbindungen zu den Behörden, das Herunterspielen. (5)

Die Enttarnung durch den US-Geheimdienst zeigt der militanten Rechten, dass es für Aufstandspläne noch zu früh ist. Sie konzentriert sich in den nächsten Jahren auf die Erhaltung ihrer Strukturen, Angriffe auf politische Gegner*innen, die Holocaust-Leugnung und antisemitische Schändungen.

„Brandt an die Wand“

1964 wird die NPD als neues Sammlungsprojekt der Rechten gegründet. (6) Es gelingt ihr, in mehrere Landesparlamente und einer Reihe kommunaler Parlamente einzuziehen. 1969 verfehlt sie nur knapp den Einzug in den Bundestag.

Für die Resonanz, die die NPD findet, gibt es mehrere Gründe. Nach einem langanhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung gibt es erstmals in der Bundesrepublik eine Rezession und wachsende Arbeitslosenzahlen. Die antiautoritäre Student*innenbewegung polarisiert die politische Auseinandersetzung und treibt der NPD-Wähler*innen und -Anhänger*innen zu. Dazu vollzieht sich eine gesellschaftliche Liberalisierung. Als Teil eines kulturellen Umbruchs wenden sich große Teile der Jugend der westlichen Massen- und Popkultur zu, die damals noch von weiten Bevölkerungsteilen als „Fremdkultur“ gesehen und als „undeutsch“ abgelehnt wird.

Um ihre Legalität und die Wahlchancen nicht zu gefährden, ruft die NPD nicht direkt zu Gewaltaktionen auf. Diese Aufgabe übernehmen militante Gruppen, die in ihrem Umfeld entstehen sowie einzelne Aktivist*innen. Am Gründonnerstag 1968 wird Rudi Dutschke, der als Wortführer der Student*innenbewegung gilt, durch Schüsse des NPD-Anhängers Josef Bachmann schwer verletzt. Dutschke stirbt später an den Folgen des Attentats. Ordner der NPD fallen immer wieder durch ihre Brutalität auf. Der Bundesbeauftragte für den NPD-Ordnungsdienst, Klaus Kolley, schießt in Kassel auf Demonstrant*innen und verletzt zwei von ihnen schwer.

Nach der Bundestagswahl 1969 gründen NPD-Funktionäre die „Aktion Widerstand“. Die Aktion Widerstand agitiert vor allem gegen die Entspannungspolitik der Regierung Brandt-Scheel und die Ostverträge, die sie als „Verrat“ und „Ausverkauf Deutschlands“ bezeichnet. Sie ruft in gewalttätigen Demonstrationen mit Parolen wie „Brandt an die Wand“ öffentlich zum Mord auf. Eine weitere Gruppe im NPD-Umfeld, die „Europäische Befreiungsfront“, plant 1970 einen Anschlag auf das Stromnetz in Kassel, wo sich der Bundeskanzler Willy Brandt mit dem Vorsitzenden des Ministerrates der DDR Willy Stoph treffen. Der Anschlag wird im letzten Moment verhindert. Bei den Attentätern werden in großem Umfang Waffen und Todeslisten gefunden. Sichergestellte Dokumente zeigen, dass ein bundesweites Terrornetzwerk entstehen sollte. (7)

Nach dem verpassten Einzug der NPD in den Bundestag 1969 halten vor allem junge rechte Aktivist*innen die auf Wahlerfolge zielende Strategie für gescheitert. Es entstehen militante und bewaffnete Kameradschaften, paramilitärische Verbände und Aktionsgruppe wie die Wehrsportgruppen Hengst und Hoffmann oder die „Aktionsfront nationale Sozialisten“ (ANS). Ab Mitte der siebziger Jahre mehren sich rechte Anschläge. Diese gelten vor allem politischen Gegner*innen, Einrichtungen und Angehörigen der amerikanischen Armee in Deutschland, Migrant*innen und Geflüchteten sowie Erinnerungsstätten an die Verbrechen des NS-Regimes. Das Jahr 1980 wird zum Höhepunkt des rechten Terrors.

Der erste tödliche Angriff auf Geflüchtete

Die Serie der Gewalttaten beginnt mit Anschlägen der „Deutschen Aktionsgruppen“, zu denen der neonazistische Rechtsanwalt Manfred Roeder, seine Freundin Sybille Vorderbrügge und der Bombenbauer Raymund Hörnle gehören. (8) Die Gruppe greift mit Sprengsätzen zunächst eine Auschwitz-Ausstellung in Esslingen an. Danach deponiert sie eine Bombe in einer Hamburger Grundschule, die nach dem in Treblinka ermordeten jüdischen Pädagogen Janusz Korczak umbenannt wurde. Danach verüben sie einen Brandanschlag in der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber*innen in Zirndorf und in einer Unterkunft für Geflüchtete in Leinfelden-Echterdingen. Eine weitere Rohrbombe des Trios verletzt in Lörrach drei geflüchtete Jugendliche aus Eritrea. Noch gibt es keine Toten. Dies ändert sich, als die Bande in einer Asylbewerber*innenunterkunft in Hamburg statt bisher jeweils einer nun drei Rohrbomben anbringt und zündet. Die Vietnamesen Đỗ Anh Lân Nguyễn Ngọc Châu verbrennen qualvoll. Es ist der erste tödliche Angriff auf Geflüchtete in der Bundesrepublik Deutschland.

In seinen zahlreichen Pamphleten äußert sich Roeder zur „Strategie des Widerstands“. Er sieht Deutschland „unter dem jüdischen Joch“ in einem „Kriegszustand“, in dem jedes Mittel recht ist. Das Scheitern der NPD habe gezeigt, „dass Adolf Hitlers Weg, die Machtergreifung über den Stimmzettel“, nicht wiederholbar sei. (9) Er sucht ein Thema, bei dem er hoffen kann, mit Gewaltakten Zustimmung bei den „gesunden und patriotischen Deutschen“ und zugleich Nachahmer*innen zu finden und findet es in der Hetze gegen Migrant*innen, Asylbewerber*innen und Geflüchtete.

Gerade am Ort des tödlichen Anschlags, in Hamburg, ist die Stimmung aufgeheizt. So berichtet das Hamburger Abendblatt unmittelbar vor dem Attentat auf seiner Titelseite, dass „19 Zigeuner und weitere zehn Asylbewerber“ in Hamburg angekommen seien und fährt fort:

Auch Hamburg, die weltoffene Stadt mit liberaler Tradition, kann nicht unbegrenzt Problem-Ausländern Gastrecht gewähren. (10)

Hoernle und Vorderbrügge werden zunächst zu lebenslanger Haft verurteilt. Bei einer weiteren Verhandlung wird die Strafe für Vorderbrügge auf 12 Jahre reduziert. Roeder wird als Rädelsführer zu 13 Jahren Haft verurteilt. 1990 kommt er aufgrund einer günstigen Sozialprognose zur Bewährung frei.

Das Münchner Oktoberfest-Attentat

Es ist der 26. September 1980. Als sich viele Besucher*innen des Oktoberfests auf den Heimweg machen, detoniert gegen 22.20 Uhr auf der Theresienwiese eine Bombe. Sie reißt 13 Menschen in den Tod und verletzt 221 Menschen, davon 68 schwer. Unter den Toten ist auch der Attentäter Gundolf Köhler. Es ist bis heute der schwerste terroristische Anschlag in der Bundesrepublik Deutschland. (11)

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Auf dem Münchner Oktoberfest detoniert eine von Rechtsterroristen gelegte Bombe, 1980

Medien und Politik gehen zunächst von einem linksterroristischen Attentat aus. Diese Annahme liegt aufgrund der vorhergehenden Anschlagsserie der RAF nahe. Es besteht Einigkeit, dass die Vorbereitung und Durchführung eines Attentats dieses Ausmaßes keine Tat eines Einzelnen sein können, sondern ein Netzwerk von Mittätern erfordern. Dann jedoch, als die Ermittlungen rasch zu dem Studenten Gundolf Köhler führen, wird die Netzwerkthese fallen gelassen. Das Attentat gilt fortan als Werk eines psychisch kranken depressiven Einzeltäters.

Die Tat wird von den Ermittlern als „unpolitisch“ eingestuft, obwohl bald der rechte Hintergrund des Attentäters deutlich wird. Gundolf Köhler hat Kontakte zur paramilitärischen Wehrsportgruppe Hoffmann. Er nimmt an mehreren Wehrsporttrainings teil, in denen Partisanentechniken geübt werden. Bei diesen Trainings zündet er mehrere selbstgebaute Sprengsätze, was ihm den Spitznamen „Daniel Düsentrieb“ einbringt. Köhler ist glühender Hitler-Anhänger, tritt für einen Führerstaat nach nationalsozialistischem Vorbild ein, hat Verbindungen zur NPD und zur militanten Neonazi-Szene wie der Wiking-Jugend und den „Deutschen Aktionsgruppen“ des Terroristen Manfred Roeder. (12)

Vom Zeitpunkt des Attentats sind es nur noch wenige Tage bis zur Bundestagswahl am 5. Oktober 1980. Kanzlerkandidat der CDU/CSU ist der Bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß, der unmittelbar nach dem Attentat ohne jeden Beleg linke Terroristen zu den Tätern erklärt. Strauß macht darüber hinaus den Bundesminister des Inneren, den Liberalen Gerhart Baum, für den Anschlag öffentlich mitverantwortlich, bezeichnet ihn als „Unsicherheitsminister“ und fordert den Rücktritt der „Skandalbesetzung“. (13)

Und ausgerechnet jetzt werden die Verbindungen Köhlers zur Wehrsportgruppe Hoffmann bekannt, die der Ministerpräsident jahrelang als harmlose Spinner abgetan hat. Frisch in der öffentlichen Erinnerung ist noch die heftige Auseinandersetzung zwischen dem als Sicherheitsrisiko verunglimpften Baum und dem sich als Garant für Recht und Ordnung präsentierenden Kandidaten Strauß.

Baum hatte am 30. Januar 1980 ein Verbot der rund 400 Mitglieder starken paramilitärischen Gruppe verfügt, die immer wieder durch Gewalttätigkeiten aufgefallen war und mehr und mehr zum Magnet für gewaltbereite Neonazis aus ganz Deutschland wurde:

Die ‚Wehrsportgruppe Hoffmann‘ richtet sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Die ‚Wehrsportgruppe Hoffmann‘ ist verboten. Sie wird aufgelöst. (14)

Bei einer Razzia am selben Tag werden 12 Busladungen mit teils schweren Waffen, Sprengstoff und NS-Propagandamaterial sichergestellt. Strauß kritisiert die Verbotsverfügung mehrfach scharf und verteidigt die Zurückhaltung der bayerischen Behörden:

Dann, um 6 Uhr morgens, schickt man 500 Polizisten los, um zwanzig Verrückte auszufragen. Diesen Hoffmann, der wie ein Kasper aussieht. Wenn niemand von diesem Schwachkopf reden würde, wer würde seine Existenz bemerken? Mein Gott, wenn sich ein Mann vergnügen will, indem er am Sonntag auf dem Land mit einem Rucksack und einem mit Koppel geschlossenen ‚Battledress‘ spazieren geht, dann soll man ihn in Ruhe lassen. (15)

Die Ermittlungen finden in dieser politisch brisanten Situation statt. Den Verbindungen Köhlers zur Wehrsportgruppe Hoffmann wird nur oberflächlich nachgegangen. Bald legen sich die Ermittler fest: Der Anschlag ist die Alleintat eines psychisch kranken Einzeltäters. Politische Motive gibt es nicht.

Ungeklärt bleiben viele Fragen und Widersprüche, die besonders der Journalist Ulrich Chaussy in mehr als 30 Jahren Recherchearbeit offenlegt. Die offensichtlichen Mängel der damaligen Ermittlungen führen 2014 zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens durch die Bundesanwaltschaft. Im Ergebnis der erneuten Ermittlungen wird das Attentat 2020, also nach vierzig Jahren, als politisch motivierte Tat eingestuft. Viele Fragen, insbesondere die nach Hintermännern und der Verbindung zur Wehrsportgruppe Hoffmann, können nicht beantwortet werden. Die Ermittlungen bleiben in dieser Hinsicht auch deshalb ergebnislos, weil wichtige Asservate und Akten verschwunden sind, Gespräche und Vernehmungen nur unzureichend dokumentiert wurden, die Erinnerungen von Zeug*innen verblasst sind und der wichtigste Zeuge, der einen konkreten Hinweis auf Mittäter gegeben hatte, inzwischen verstorben ist.

Der Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke

Die Morde an Shlomo Lewin und dessen Lebensgefährtin Frida Poeschke am 19. Dezember 1980 in Erlangen sind die ersten bekannt gewordenen rechtsextremistischen antisemitischen Morde in der Bundesrepublik Deutschland. Der mutmaßliche Täter Uwe Behrendt gilt als „rechte Hand“ des Anführers der neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann. Die polizeilichen Ermittlungen und der Prozess weisen eine Reihe frappierender Parallelen zu den NSU-Morden und dem Münchner Oktoberfest Attentat auf. (16)

Im Sommer 1977 planen Neonazis in Nürnberg einen bundesweiten „Auschwitz-Kongress“ von Holocaust-Leugner*innen. Gegen dieses Vorhaben gründet sich ein antifaschistisches Aktionsbündnis, dem unter anderem die örtlichen Gewerkschaften, die SPD und die Israelitische Kulturgemeinde angehören. Bei einer Protestkundgebung gegen den Nazi-Kongress hält der für seine Verdienste um die deutsch-israelische Verständigung mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse ausgezeichnete Rabbiner und ehemalige NS-Häftling Shlomo Lewin die Hauptrede. Er warnt eindringlich vor den rechten Brandstiftern,

…weil die Erfahrung gerade uns Juden gelehrt hat, wie gefährlich, wie vernichtend solche Kongresse, solche Versuche, das Recht zu untergraben, für uns und ganz Deutschland werden können. Wir sind dezimiert worden, hier in Nürnberg von einer Gemeinde mit etwa 10.000 Mitgliedern haben wir heute noch 340 Mitglieder …. Aber lassen Sie mich betonen, liebe Nürnberger, wir als Juden sind Deutsche und wollen dasselbe Recht genießen wie alle anderen. […] Wir wollen mit Euch allen, die Ihr mit uns kämpfen wollt, gegen den Faschismus zusammenarbeiten. Wir haben das Fürchten verlernt, wir wollen mit in die vordersten Reihen gehen, um denen, die die Juden zu Millionen vernichtet haben, die Wahrheit ins Gesicht zu schreien, damit sie nie wieder den Mut, von einer Auschwitz-Lüge zu sprechen, diesen Mut nie wieder haben sollen. (17)

Besonders durch diese Rede gerät Lewin in den Fokus der „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Lewin wird vom WSG-Gründer Hoffmann mehrmals öffentlich bedroht und erhält immer wieder anonyme Morddrohungen aus dem rechten Spektrum.

Am 19. Dezember 1980 werden Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke in ihrer Erlanger Wohnung erschossen. Schon am nächsten Tag verbreiten Zeitungen ungeprüft das ihnen anonym zugespielte Gerücht, Levin sei ein zwielichtiger Agent des israelischen Geheimdiensts Mossad gewesen und von anderen Geheimdiensten ermordet worden.

Nachdem die israelische Regierung zwei Tage später offiziell die Agententheorie zurückgewiesen hatte, sucht die Polizei den Mörder in der jüdischen Gemeinde, in der sie kriminelle Machenschaften vermutet. Sie nimmt bei Levin eine Hausdurchsuchung vor, vernimmt Trauergäste noch während der Trauerfeiern und verhaftet zwei Mitglieder der jüdischen Gemeinde.

Nach rechten Tätern ermittelt die Polizei monatelang nicht, obwohl ihr die Morddrohungen gegen Lewin bekannt sind und ein weiteres Mitglied der Israelitischen Kulturgemeinde, der Shoah-Überlebende Arno Hamburger, antisemitische Morddrohungen erhält.

Als endlich auch mögliche antisemitische Motive in das Blickfeld der Ermittler*innen geraten, führen die Spuren am Tatort rasch zur Wehrsportgruppe Hoffmann. Der mutmaßliche Täter hat sich allerdings längst in den Libanon abgesetzt. Beweise sind vernichtet.

So kann Hoffmann bei dem vier Jahre später stattfindenden Prozess alle Schuld auf Uwe Behrendt schieben, der im Libanon unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt.

Hoffmann wird aufgrund mangelnder Beweise freigesprochen und der tote Behrendt als „Alleintäter“ festgelegt. Die Rolle der Wehrsportgruppe wird nicht weiter untersucht, Antisemitismus als Tatmotiv ignoriert. Der Verfassungsschutz gibt Akten, die die Rolle Hoffmanns klären könnten, bis heute nicht frei.

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Erinnerung an den Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke.

Auf der Tafel gibt es keinen Hinweis auf das antisemitische Motiv des Täters.

„Wolfszeit“

Das Töten ist im Terrorjahr 1980 immer noch nicht zu Ende. Am Weihnachtsabend will der deutsche Neonazi Frank Schubert in einem Schlauchboot Waffen aus der Schweiz über den Rhein nach Deutschland schmuggeln. Als er von Polizisten entdeckt wird, eröffnet er das Feuer und tötet einen Schweizer Grenzbeamten und einen Polizisten. Danach erschießt er sich selbst.

Schuberts Spuren führen die Ermittler nach Frankfurt am Main und helfen, dort eine Serie von Anschlägen auf amerikanische Einrichtungen aufzuklären. Odfried Hepp und Walter Kexel, die sich zur „Hepp-Kexel-Gruppe“ zusammengeschlossen haben, werden enttarnt und festgenommen. Kexel begeht später in der Haft Suizid. (18)

Die Attentate im Jahr 1980 haben noch ein Nachspiel. Die Ermittler*innen beim Oktoberfestanschlag können nicht klären, woher der von Köhler verwendete Sprengstoff stammt. Sie erfahren dann von Kolleg*innen aus Baden-Württemberg von der Aussage der geständigen Sybille Vorderbrügge und Raymund Hörnle, der Förster Heinz Lembke aus Oechtringen in der Lüneburger Heide habe ihnen Waffen und Sprengstoff angeboten. Sofort wird eine Durchsuchung von Lembkes Anwesen angeordnet. Die Lüneburger Polizist*innen finden jedoch nichts. Eine Durchsuchung der unmittelbaren Umgebung von Lembkes Anwesen nach Erdlagern findet aus unerklärlichen Gründen nicht statt. So dauert es bis Ende Oktober 1981, bis ein Waldarbeiter beim Setzen von Pfählen zufällig auf das umfangreiche Waffenlager stößt. Daraufhin wird nach weiteren Waffenlagern gesucht, die sich bald finden. In einem dieser Lager findet sich ein Hinweis auf 33 weitere Lager. Lembke, damit konfrontiert, gibt daraufhin die Existenz weiterer 20 Lager preis. Er kann nicht weiter befragt werden. In der Nacht zum 1. November tötet er sich selbst. „Es ist Wolfszeit“ hinterlässt er zum Abschied. (19)

Die Historikerin Barbara Manthe zählt in der Zeit von 1970-1989 mindestens 24 Todesopfer rechter Gewalt. Dennoch werden die Gefahren von den zuständigen Behörden immer wieder heruntergespielt. Auffällig sei, dass immer wieder im persönlichen und familiären Umfeld der Opfer ermittelt wird, jedoch die Netzwerke der Täter im Dunkeln bleiben. (20)

1979 weist der Verfassungsschutz des Bundes 1483 rechte Straftaten aus, davon 97 Gewalttaten. Dennoch ist der Verfassungsschutz des Bundes der Meinung: „Der deutsche Rechtsextremismus stellt keine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung dar.“ (21) Diese Bewertung ändert sich auch nach dem Jahr des Terrors 1980 nicht. So können rechte Strukturen weiterwachsen und Anhänger*innen generieren, bis sich die Gewalt 1990 erneut entlädt.

Empfehlung:

https://www.swr.de/swr2/doku-und-feature/erinnerungsluecke-1980-swr2-feature-2020-10-28-100.html

Das Hör-Feature dokumentiert das vielfach vergessene und verdrängte Jahr des rechten Terrors 1980

Quellen, Hinweise und weitere Informationen

(1) Die Wiking-Jugend war eine neonazistische Jugendorganisation mit dem Ziel, ihre Mitglieder nationalsozialistisch zu schulen. Zahlreiche spätere Kader extrem rechter Organisation gingen aus der WJ hervor. https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/229984/-nicht-bloss-harmlose-pfadfinder-voelkische-jugend

(2) Zu dem Waffenlager und den Todeslisten von Wald-Michelbach siehe: Martin Steinhagen, Rechter Terror – Der Mord an Walter Lübcke und die Strategie der Gewalt, 2021, S. 61 ff; Steinhagen gibt in dem Buch einen Überblick über den rechten Terror, besonders in Hessen, seit 1945 und beschreibt detailliert die Hintergründe zum Mord an Walter Lübcke. Zu den Mord- und Umsturzplänen von Wald-Michelbach siehe weiterhin: https://www.spiegel.de/geschichte/rechte-geheimgruppe-technischer-dienst-finstere-plaene-fuer-den-tag-x-a-48f81106-44a4-4838-997e-7a10d3e36f0a; https://www.vorwaerts.de/artikel/rechte-verschwoerung-nachkriegsdeutschland-aufgedeckt

(3) siehe dazu: https://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/1000/k/k1952k/kap1_2/kap2_71/para3_11.html

(4) Abschlussbericht des Hessischen Landtags 3330 6. Wahlperiode.

(5) Martin Steinhagen, Rechter Terror, S. 64.

(6) Einen Überblick über die Entwicklung der NPD gibt: Gideon Bötsch, Die extreme Rechte in der Bundesrepublik Deutschland 1945-heute, 2012, S.41ff

(7) siehe dazu Steinhagen S.73 ff

(8) Zu den Deutschen Aktionsgruppen und der Terrorgruppe Roeder siehe: Steinhagen S.83 ff, Boetsch S. 82

(9) Roeder, zit. nach Steinhagen, Rechter Terror, S.93

(10) Hamburger Abendblatt, zitiert nach Steinhagen S. 83

(11) Eine umfassende Darstellung gibt: Ulrich Chaussy: Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen, Berlin 2020

(12) siehe dazu Steinhagen, S.90 ff und Chaussy, S.220 ff

(13) siehe dazu: Deutschlandfunk, https://www.deutschlandfunk.de/vor-40-jahren-anschlag-auf-das-oktoberfest-die-maer-vom-100.html

(14) zit. nach Chaussy, S. 46

(15) zit. Nach Chaussy, S. 46

(16) Eine umfassende Darstellung gibt: Ulrich Chaussy: Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen, Berlin 2020, S.250 ff (vgl. Anmerkung 11)

(17) Die Rede Lewins ist bei Chaussy, S..267-271 abgedruckt (12) hervorragenden Überblick mit aktuellen Bezügen gibt: https://www.juedische-allgemeine.de/gemeinden/die-verbindung-liegt-auf-der-hand/

(18) zur Kepp-Kexel Gruppe siehe Boetsch, S. 83

(19) Chaussy, S.222 ff

(20) Barbara Manthe, Rechtsterroristische Gewalt in den 1970 er Jahren, in: Vierteljahresheft für Zeitgeschichte 68, erschienen 2020.

(21) Verfassungsschutzbericht des Bundes 1979

 

Fotonachweise:

Auf dem Münchner Oktoberfest detoniert eine von Rechtsterroristen gelegte Bombe, 1980: IMAGO / WEREK, https://www.imago-images.de/

Zitat von Sebastian Wehrhahn & Martina Renner, in: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.). (2019). Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Rechtsterrorismus, Band 6. Jena, S. 72.

Erinnerung an den Mord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke: Janericloebe, Erlangen Lewin-Poeschke-Anlage 002, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19300902