Kleine Geschichte vom großen Irrtum

Und wieder hatte das Virus die Mäuse befallen. Es war ein heimtückisches Virus, das schleichend ihre Wahrnehmung veränderte. Die befallenen Mäuse verloren die Angst vor den Katzen. Katzen seien, so dachten sie, doch eigentlich ganz harmlose Wesen, die man voll unter Kontrolle habe und in keiner Weise fürchten müsse. Als die Katzen dann doch begannen, Mäuse zu fressen, dachten die vom Virus befallenen Mäuse: och, die fressen doch nur so bunte, fremde, linke und schräge Mäuse, die wir ohnehin nicht bei uns haben wollen. Da lassen wir mal die Katzen machen und gucken weg. Als der Appetit der Katzen wuchs und weitere Mäuse gefressen wurden, sagten die befallenen Mäuse: kein Grund zur Sorge. Das sind nur Einzeltaten psychisch kranker Einzelkatzen. Und als die Katzen ihre Krallen geschärft und sich Glatzen rasiert hatten und dann Hetzjagden auf Mäuse veranstalteten, sagten die vom Virus befallenen Mäuse: ach, Hetzjagd ist so ein Wort und man weiß ja nicht, ob die Katzen sich vielleicht von dem ungezügelten Zustrom fremder Mäuse bedroht gefühlt haben. Wir müssen die Sorgen der Katzen eben ernst nehmen, ihnen entgegenkommen und die fremden Mäuse in Lagern festhalten oder auf dem Weg zu uns ertrinken lassen. Dann werden sie auch nicht vor unseren Augen gefressen und wir haben das Problem gelöst.

Das Virus griff nicht nur die Wahrnehmung an, sondern zerstörte auch das Gedächtnis. Und so geschah es, dass die befallenen Mäuse sich nicht mehr an die großen Pogrome erinnern konnten, die erst drei Mäusegenerationen zurücklagen.

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Auf einer Mahnwache in Frankfurt nach dem Anschlag in Hanau

Quellen, Hinweise und weitere Informationen

Fotonachweis:

Auf einer Mahnwache in Frankfurt nach dem Anschlag in Hanau: IMAGO / Ralph Peters, https://www.imago-images.de/