Verfolgung homosexueller Männer und Frauen

Homosexualität steht im Gegensatz zum nationalsozialistischen Verständnis der Rolle von Mann und Frau, der Familie und der Erzeugung erbbiologisch wertvollen Nachwuchses und wird deshalb verfolgt. Homosexuellen Männern und lesbischen Frauen droht die Bespitzelung und Denunziation, Strafverfolgung und die Internierung und Ermordung in Konzentrationslagern.

Verfolgung homosexueller Männer

Von 1933 bis 1945 werden im Deutschen Reich etwa 70 000 Männer wegen Homosexualität abgeurteilt. Über viele wird sofort oder im Anschluss an eine Gefängnisstrafe Schutzhaft verfügt. Die meisten der Schutzhäftlinge kommen in eines der Konzentrationslager. Mehr als die Hälfte der Häftlinge mit dem Rosa-Winkel kommt im KZ ums Leben.

Homosexualität war aufgrund des homophoben Paragrafen 175 des deutschen Strafgesetzbuches von 1872 verboten. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe.

Während der Weimarer Demokratie gibt es Bestrebungen, den Paragrafen 175 abzuschaffen. Aber die Nationalsozialisten verschärfen 1935 die Homosexuellen-Verfolgung durch den Paragrafen 175a, in dem der Begriff der „Unzucht“ weit ausgelegt wird.

Friedrich Wilhelm Spangenberg

Der Marburger Friedrich Wilhelm Spangenberg kann seine Homosexualität im Dritten Reich nicht offen leben. Er wird 1942 zur Wehrmacht eingezogen. 1943 wird Spangenberg wegen homosexueller Handlungen von einem Militärgericht zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt. Nachdem er die Haft verbüßt hat, muss er sich zur „Bewährung“ einer Strafkompanie an der Ostfront anschließen. Der Einsatz in einer Strafkompanie kommt in der Regel einem Todesurteil gleich. Seit Februar 1944 gilt Fritz Spangenberg südöstlich von Witebsk als vermisst.

Spangenberg war kein Gegner oder Kritiker, sondern ein Anhänger der Nationalsozialisten. Er trat 1933 in die SA ein, war als HJ-Führer aktiv und meldete sich freiwillig zum Wehrdienst, den er wegen Krankheiten verlassen muss. Zum Verhängnis wird ihm einzig seine sexuelle Orientierung. (1)

Alt text
Einweisung eines homosexuellen Mannes in das KZ Sachsenhausen, 1944

Paul O‘ Montis (Paul Wendel)

Der Sänger und Vortragskünstler Paul Wendel, der unter dem Künstlernamen Paul O‘ Montis auftritt, ist einer der erfolgreichsten Cabaret- und Revuekünstler im deutschsprachigen Raum. Er steht der NSDAP kritisch gegenüber, ohne dies öffentlich zu äußern. Er wird 1934 wegen Vergehens gegen den Paragraph 175 und Kritik an der NSDAP zu 9 Monaten Haft verurteilt. Nach der Verbüßung seiner Haftstrafe emigriert er und versucht, seine künstlerische Tätigkeit in den Nachbarstaaten wieder aufzunehmen. Seine Odyssee führt ihn schließlich nach Prag, wo man ihn nach der deutschen Besetzung erneut verhaftet und ins Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Dort wird er am 17. Juli 1940 erhängt aufgefunden. Wahrscheinlich hat ihn ein Mithäftling gezielt getötet. (2)

Verfolgung homosexueller Frauen

Auch homosexuelle Frauen leben aufgrund ihrer sexuellen Orientierung unter ständiger Bedrohung. Um sozialer Ächtung, Denunziationen und Verfolgung zu entgehen, müssen sie ihre sexuelle Identität unterdrücken oder verheimlichen. Manche Frauen heiraten und werden schwanger, um den heterosexuellen Schein aufrechtzuerhalten. Zwar wird der § 175 nur gegen Männer angewendet, doch ist das Fehlen einer rechtlichen Grundlage im nationalsozialistischen Deutschland kein Schutz vor Verfolgung. Vielfach werden homosexuelle Frauen verhaftet und interniert, weil sie Kontakte mit Jüdinnen oder Kommunistinnen haben, als „asozial“ verleumdet oder der Prostitution bezichtigt werden. In den Listen der Polizei und der Konzentrationslager werden sie nicht als eigene Gruppe geführt, sondern anderen Häftlings- oder Verfolgtengruppen zugeordnet. In den Konzentrationslagern tragen sie häufig den schwarzen Winkel der „Asozialen“.

Lesbischen Frauen wurde lange und wird zum Teil heute noch eine Anerkennung als eigenständige Opfergruppe nationalsozialistischer Verfolgung verweigert. Es gibt nur wenige Selbstzeugnisse, aus denen sich die damaligen Geschehnisse oder Biographien rekonstruieren lassen. Und schließlich gab es auch wegen der Außenseiterrolle der Frauen und fortwirkenden Vorurteilen über viele Jahre nur ein geringes Forschungsinteresse. Dies zeigt sich beispielhaft an folgenden Biographien:

Margot Liu und Marta Halusa

Die Tänzerinnen Margot Liu und Marta Halusa lernen sich 1932 auf einer Tournee kennen und lieben. Sie werden von den Nazis immer wieder verfolgt: Margot Liu wegen ihrer jüdischen Herkunft, Marta Halusa wegen ihrer Beziehung zu einer Jüdin und beide wegen angeblicher Prostitution und antifaschistischer Aktivitäten. Sie werden von der Gestapo festgenommen und unter Folter verhört, die bei beiden Frauen zu lebenslangen körperlichen und psychischen Schäden führt. Sie überleben nur mit viel Glück. Nach 1945 müssen Margot Liu und Marta Halusa viele Jahre um ihre Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus und um eine bescheidene Entschädigung für erlittenes Leid und die fortbestehenden Gebrechen kämpfen. (3)

Hilde Radusch und Else Klopsch

Hilde Radusch

Die Lesbe und Kommunistin Hilde Radusch ist Stadtverordnete der KPD in Berlin. Sie wird aufgrund ihrer kommunistischen Aktivitäten im April 1933 in „Schutzhaft“ genommen und im Frauengefängnis Barnimstraße interniert. Nach ihrer Entlassung lernt sie ihre spätere Lebensgefährtin Else Klopsch kennen, mit der sie gemeinsam ein Lokal betreibt. In dem Lokal gewähren beide Frauen Verfolgten zeitweiligen Unterschlupf und lassen ausgehungerten Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen heimlich Essen zukommen. Da Hilde Radusch rechtzeitig vor einer geplanten erneuten Verhaftung gewarnt wird, kann sie untertauchen. Nach der Befreiung Berlins werden sie und Else Klopsch, die ihr in den Untergrund gefolgt ist, halbverhungert und gezeichnet in einer Gartenlaube aufgefunden. Raduschs Leben wurde in dem Dokumentarfilm „Muss es denn gleich beides sein?“ nachgezeichnet. (4)

Die Diskriminierung geht weiter

Die Verfolgung Homosexueller stützte sich auf Listen, die die Polizei bereits in der Weimarer Republik angefertigt hat. Diese Listen werden auch in der Bundesrepublik weiter von der Polizei benutzt. Der § 175 bestand in der von den Nazis verschärften Form bis zum Jahr 1969 weiter. Homosexuelle Verfolgte wurden nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt und erhielten keine Entschädigungsleistungen. Stattdessen nahm die Verfolgungsintensität stetig zu und erreichte im Jahr 1959 ihren Höhepunkt. Der Polizei- und Justizapparat war oft wieder mit denselben Personen besetzt wie vor 1945. Der § 175 wurde 1969 und 1974 entschärft und 1994 ganz aufgehoben. Von 1980 an gab es in wenigen Einzelfällen geringe Entschädigungen. Die Urteile der Nazi-Justiz gegen Homosexuelle wurden erst 2002 generell als Unrecht aufgehoben.

Einen Überblick gibt: Die NS-Verfolgung queerer Menschen. Arolsen Archives: https://arolsen-archives.org/ueber-uns/standpunkte/die-ns-verfolgung-queerer-menschen/?gclid=EAIaIQobChMI-_TC5O2x9wIViY9oCR1RjAMXEAAYASAAEgLhPPD_BwE

Ausführliche Informationen mit einer Vielzahl von Biografien: http://www.rosa-winkel.de/

Quellen, Hinweise und weitere Informationen

(1) Siehe Klaus-Dieter Spangenberg: Die schöne Helena. Fritz – ein schwules Soldatenschicksal. Fallbeispiel zur Militärjustiz und Verfolgung Homosexueller in der Wehrmacht: Friedrich Wilhelm Spangenberg (1914–1944), 2014

(2) Über Paul O‘ Montis ist 2021 eine Biografie erschienen: Ralf Jörg Raber, Beliebt bei älteren Damen und jüngeren Herrn – Biografie eines Vortragskünstlers

(3) Siehe auch: Ingeborg Boxhammer, Marta Halusa und Margot Liu: Die lebenslange Liebe zweier Tänzerinnen (Jüdische Miniaturen / Herausgegeben von Hermann Simon), 2015

(4) Zu Hilde Radusch siehe Bundesstiftung Magnus Hirschfeld: https://mh-stiftung.de/biografien/hilde-radusch/

 

Fotonachweise:

Einweisung eines homosexuellen Mannes in das KZ Sachsenhausen, 1944: Waffen-SS Oranienburg, http://www.triangles-roses.org/einweisung.jpg, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2308507

Hilde Radusch: Mobiles Archiv L, Sammlung Radusch, F_41: „Ein froher Gruss von froher Fahrt von deinem Karlchen“ (Frühjahr 1941)