Verschwörung gegen die Republik

Die Organisation Consul und die Attentate gegen Matthias Erzberger, Philipp Scheidemann und Walther Rathenau

Gezielt gewählt: Die Opfer

Matthias Erzberger, Philipp Scheidemann und Walther Rathenau sind keine Zufallsopfer. Sie sind Symbolfiguren der Weimarer Republik, die aus unterschiedlichen Gründen den besonderen Hass der Rechten auf sich gezogen haben.

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Matthias Erzberger

Der konservative Politiker Matthias Erzberger leitete die Waffenstillstandsverhandlungen mit den alliierten Kriegsgegnern und unterschrieb den Waffenstillstand von Compiègne, mit dem der Erste Weltkrieg endete. Dadurch wurde er zum Feindbild von Militaristen und Militaristinnen und Nationalisten und Nationalistinnen, die ihm die Schuld an dem verlorenen Krieg und dessen Folgen anlasten und ihn als „Vaterlandsverräter“ diffamieren. Er wird am 26. August 1921 ermordet.

Bereits am 26. Januar 1920 gibt es ein erstes Attentat auf Matthias Erzberger, das er überlebt. Erzberger lebt fortan in der Erwartung, dass weitere Attentate folgen werden, zumal der Attentäter nur zu einer lächerlich geringen Strafe von 18 Monaten Gefängnis verurteilt wird. Seiner Tochter sagt Erzberger: „Die Kugel, die mich treffen soll, ist schon gegossen.“

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Philipp Scheidemann

Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann rief am 9. November 1918 bei einer Massendemonstration in Berlin die Republik aus und beendete damit die Monarchie. Scheidemann ist für Nationalisten und Nationalistinnen und Monarchisten und Monarchistinnen die personifizierte Dolchstoßlegende. Er wird in Hetzplakaten, Karikaturen und Postkartenbildern als Mörder dargestellt, der den kämpfenden Soldaten den Dolch in den Rücken stößt.

Am 4. Juni 1922 wird Scheidemann, der inzwischen Oberbürgermeister von Kassel ist, Opfer eines Blausäureattentats, das er mit viel Glück überlebt. Die Attentäter werden zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Aufgrund einer Amnestie kommen sie bereits nach 5 Jahren wieder frei.

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© Deutsches Historisches Museum

Walther Rathenau

Walther Rathenau war Minister für Wiederaufbau und ist danach Außenminister. Der Großindustrielle ist national und konservativ, will aber durch Verhandlungen mit den Kriegsgegnern die harten Auflagen des Versailler Vertrags abmildern. Dies bringt ihm seitens der Rechten den Vorwurf ein, ein „Erfüllungspolitiker“ und „Vaterlandsverräter“ zu sein. Vor allem aber ist Rathenau Jude. Damit wird er zum lebenden Beweis, dass das „internationale Judentum“ von Deutschland Besitz ergriffen habe und für sein Elend verantwortlich sei. „Schlagt ihn tot, den Rathenau, die gottverdammte Judensau“, giftet die Rechte. Und den Worten folgten Taten. Am 24. Juni 1922 wird Rathenau ermordet.

Die Organisation Consul

Auftraggeber und Drahtzieher der Attentate ist die Organisation Consul (O.C.). (1) Sie ist faktisch eine Nachfolgeorganisation des Freikorps Ehrhardt, das 1920 auf Druck der Siegermächte aufgelöst wurde.

Zur Brigade Ehrhardt siehe auch: Generalstreik gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch

Die Führung der Brigade findet nach dem gescheiterten Kapp-Lüttwitz-Putsch in der „Ordnungszelle Bayern“ Aufnahme und kann von dort aus die Brigade reorganisieren. Der wegen seiner Rolle bei dem Putsch per Haftbefehl gesuchte Kopf der Brigade, Hermann Ehrhardt, erhält vom Münchner Polizeipräsidenten Ernst Pöhner einen gefälschten Ausweis und kann sich so ungehindert zwischen seinem Salzburger „Exil“ und der Münchner O.C.-Zentrale bewegen. (2)

Der Neuaufbau der Brigade Ehrhardt unter dem Tarnnamen Organisation Consul erfolgt auf konspirative Weise. Der Geheimbund verbirgt sorgfältig seine Struktur und Ausdehnung vor staatlichen Stellen, besonders vor der Reichsregierung, die nach den Bestimmungen des Versailler Vertrags eine militärische Organisation wie die O.C. zwingend hätte verbieten müssen. Überall im Reich bilden sich rasch Zellen, die Waffenlager anlegen, Informationen über politische Gegner und Gegnerinnen sammeln und versprengte Angehörige anderer Freikorps an sich binden. Durch die geheime Aufrüstung und die Weitergabe von Informationen entstehen vielfältige Kontakte und Schnittpunkte mit Reichswehr und Polizei, die die O.C. für sich zu nutzen weiß und die sie auch vor einer Aufdeckung schützen.

Bald hat die Organisation Consul unter den ehemaligen paramilitärischen, republikfeindlichen Verbänden die Führungsrolle übernommen. Der Zulauf zu ihr ist enorm. Ihre Mitglieder müssen sich verpflichten, „dem obersten Leiter der Organisation und meinen Vorgesetzten unbedingten Gehorsam“ entgegenzubringen und „über alle Angelegenheiten der Organisation strengstes Stillschweigen“ zu wahren. Bei Zuwiderhandlungen gilt, wie ein eigener Paragraph der Verpflichtungserklärung bestimmt: „Verräter verfallen der Feme.“ (3)

Die O.C. kann von Bayern aus ungehindert von der dortigen Regierung Anschläge und Morde auf Repräsentanten der Weimarer Demokratie planen und ausführen. Dazu hat sie neben der öffentlich sichtbaren Organisation, deren offizieller Zweck die „Pflege des nationalen Gedankens“ und „die Bekämpfung der antinationalen Weimarer Verfassung“ ist, eine terroristische Geheimorganisation geschaffen. (4)

Die Strategie der Provokation

Bei den bald folgenden Anschlägen auf Erzberger, Scheidemann und Rathenau geht es nicht nur darum, Rache zu nehmen oder das Weimarer System ins Herz zu treffen. Es geht auch nicht nur darum, blindem antisemitischen Hass Taten folgen zu lassen. Vielmehr sind die Anschläge Teil einer Verschwörung mit einem kalt berechneten Kalkül: Sie sollen einen Aufstand der Linken provozieren. Ein solcher Aufstand würde wiederum der Organisation Consul und anderen paramilitärischen Gruppierungen den Vorwand liefern, gegen die Linken und die Republik loszuschlagen. In diesem Fall hätten die Aufrührer – im Gegensatz zum Kapp-Lüttwitz-Putsch, dem sich nur einzelne Einheiten der Reichswehr angeschlossen hatten – mit der vollen Unterstützung der Reichswehr und damit mit dem Erfolg eines Putsches rechnen können.

Der erste Schritt der Provokationsstrategie ist der Mord an Matthias Erzberger, mit dem das Führungsmitglied der Organisation Consul, der ehemalige Kapitänleutnant Manfred von Killinger, die O.C. Mitglieder Heinrich Tillessen und Heinrich Schulz beauftragt. Anders als von den Attentätern erwartet, gelingt es der Offenburger Polizei und Staatsanwaltschaft rasch, die Identität der Täter zu ermitteln. Die Verhaftung wird jedoch sabotiert. Die Münchner Polizei lässt den Tätern erst eine Warnung zukommen, bevor sie zur Festnahme aufbricht. Polizeipräsident Pöhner besorgt wiederum fasche Ausweise. An der deutsch-österreichischen Grenze werden die Attentäter vom Salzburger Polizeipräsidenten persönlich in Empfang genommen und mit dem Auto zur ungarischen Grenze gebracht. In Ungarn leben sie mit dem Mörderlohn der O.C. auf großem Fuß. (5)

Der raschen Ermittlung der Täter folgen Durchsuchungen ihrer Wohnungen, die eine Reihe von Hinweisen auf die Organisation Consul erbringen und deren Rolle im Hintergrund belegen. Die daraufhin angeordnete Durchsuchung der Büros der O.C. bringt allerdings nur wenige Ergebnisse: die Beamten finden vor allem verkohlte Papierreste der Organisation vor, die offensichtlich gewarnt wurde und Belastungsmaterial beseitigt hat. In der Folge wird das Verfahren gegen hochrangige O.C. Mitglieder eingestellt. Auch der Auftraggeber Manfred von Killinger wird freigesprochen. (6) Bald flaut auch die öffentliche Empörung über den Mord ab.

Hans Paasche, Buchcover

Vor den nächsten Attentaten löst sich die O.C. zum Schein auf und setzt ihre Aktivitäten unter anderem Namen fort. Ein knappes Jahr später erfolgen die Anschläge auf Philipp Scheidenmann und Walther Rathenau. Die Attentäter und ihre Helfer sind wiederum Mitglieder der Organisation Consul. Auch sie streiten ab, auf Befehl der O.C. gehandelt zu haben.

Besonders der Mord an Walther Rathenau ruft eine von der Rechten unerwartete Gegenreaktion hervor. Niemals mehr bekennen sich mehr Menschen zur Weimarer Demokratie. Die Empörung über die Mordserie führt zu zahlreichen Demonstrationen. Am Tag der Beerdigung Rathenaus ruht die Arbeit. Allein in Berlin säumen mehr als eine Million Menschen beim Trauerzug die Straßen.

Angesichts der öffentlichen Entrüstung, die weit über die Linke hinausgeht und zu einer von der Rechten in dieser Dimension unerwarteten Manifestation für die Republik wird, wagt diese nicht den Schritt zum geplanten Putsch.
Verfechter der Republik wie Kurt Tucholsky fordern nun endlich ein entschiedenes Vorgehen gegen die Feinde der Demokratie. In der Weltbühne vom 29. Juni 1922 veröffentlicht Kurt Tucholsky das Sonett „Rathenau“:

Schlag in Stücke die Geheimverbände!
Bind Ludendorff und Escherich die Hände!
Laß dich nicht von der Reichswehr höhnen!
Sie muß sich an die Republik gewöhnen.
Schlag zu! Schlag zu! Pack sie gehörig an!
Sie kneifen alle. Denn da ist kein Mann.
Da sind nur Heckenschützen. Pack sie fest –
dein Haus verbrennt, wenn du’s jetzt glimmen läßt.
Zerreiß die Paragraphenschlingen.
Fall nicht darein. Es muß gelingen!
Vier Jahre Mord – das sind, weiß Gott, genug.
Du stehst vor deinem letzten Atemzug.
Zeig, was du bist. Halt mit dir selbst Gericht.
Stirb oder kämpfe!
Drittes gibt es nicht.

Tucholskys Forderung wird nicht erfüllt. Dabei ist sich die Reichsregierung durchaus der Strategie der Rechten bewusst, die – wie der der deutschen Zentrumspartei angehörende Reichskanzler Joseph Wirth erklärt –

durch solche Bluttaten wie die Ermordung Rathenaus die Arbeiterschaft zum Aufruhr reizen will, um dann in der allgemeinen Verwirrung die Regierung an sich zu reißen. (7)

In den Tagen nach dem Mord benennt Wirth – sehr zum Missfallen der nationalistischen und national-konservativen Abgeordneten im Reichstag – die für die Attentate Verantwortlichen:

Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt – da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel – dieser Feind steht rechts. (8)

Der Rechtsstaat zerstört sich selbst

Wirth kündigt zugleich Maßnahmen an. Seine Regierung beschließt eine Verordnung, nach der Vereine, die die republikanische Staatsform auf gesetzwidrige Weise bekämpfen, zu verbieten sind. Dazu soll das Reichsgericht um einen Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik erweitert werden. Allerdings wird die Verordnung bis zu ihrer Verabschiedung als Gesetz immer mehr verwässert. Der Staatsgerichtshof schwenkt mehr und mehr auf die Linie der Rechten ein und trägt im Verlaufe der Republik mehr zu ihrer Beseitigung als zu ihrem Schutz bei.

Einzeltäter?

Zunächst unternimmt der Staatsgerichtshof alles, um die Hintergründe der Morde und Attentate zu verschleiern. Es dauert nach dem Mord an Walther Rathenau zwei quälend lange Jahre, bis endlich vor dem Reichsgericht das Hauptverfahren gegen Angehörige der O.C. eröffnet wird. (9) Inzwischen haben andere Themen die Morde überlagert. Die Rechte hat zudem die Zeit genutzt, um die Opfer mit immer neuen Anschuldigungen und Lügen zu diskreditieren.

Angeklagt werden 26 Angehörige der O.C. Die Reichsanwaltschaft, die kein Geheimnis aus ihren Sympathien für die rechten Feinde der Republik macht, hat vorher gegen 48 Beschuldigte das Verfahren eingestellt – darunter gegen den Anführer der Organisation, Hermann Ehrhardt. Ihre Aktivitäten konzentrieren sich darauf, entlastendes Material für die O.C. zusammenzustellen und die Glaubwürdigkeit von Belastungszeugen zu erschüttern. Der Oberreichsanwalt bestreitet nun eine Verbindung der O.C. zu den Morden. Sie sei ein patriotischer Verband zum Schutz der Heimat, der keinerlei hochverräterische Ziele verfolge und auch nicht auf den Sturz der verfassungsmäßigen Regierung hinarbeite. Der Organisation könne, wie es in der Urteilsbegründung heißt, allenfalls der moralische Vorwurf gemacht werden,

dass durch die Verbreitung derartiger Ideen eine Atmosphäre geschaffen würde, die in jugendlichen, unreifen Köpfen gar leicht den Gedanken aufkeimen ließ, den verhaßten Gegner gewaltsam zu beseitigen. (10)

Die Theorie von unreifen und gestörten Einzeltätern ist also nicht neu: sie wird bereits 1924 benutzt, um eine Aufklärung des Hintergrunds der Anschläge, die auf höchste Repräsentanten der Weimarer Demokratie verübt wurden, zu verhindern.

Am Ende des Prozesses beantragt der Oberreichsanwalt Freisprüche für 16 Angeklagte und Gefängnisstrafen von ein bis zwei Monaten für die übrigen Angeklagten. Das Gericht, besorgt um sein Ansehen, erhöht die Strafen eher symbolisch auf drei bis acht Monate. Es folgt der Auffassung der Staatsanwaltschaft, die O.C. habe sich bereits vor dem Mord an Rathenau aufgelöst und sei deshalb strafrechtlich nicht verantwortlich zu machen. Es fügt hinzu – was jedoch rechtlich folgenlos bleibt –, dass die Aktivitäten der O.C. durchaus auf die Untergrabung der Verfassung gerichtet seien.

Immer wieder wird im Prozess deutlich, warum die paramilitärischen Vereinigungen, aus denen die Täter stammten, mit der Milde der Richter und der Unterstützung der Staatsanwaltschaften rechnen können. Nicht nur die nationalistische und demokratiefeindliche Einstellung vieler Richter und Staatanwälte und deren Sympathie für die Feinde der Republik spielen dabei eine Rolle. Viel wichtiger ist die Möglichkeit, militärische Beschränkungen der Alliierten mit Hilfe dieser Verbände zu unterlaufen und langfristig eine Revanche für den verlorenen Krieg vorzubereiten.

Der stärkste Trumpf und zugleich der wirksamste Schutz der O.C. besteht darin, dass mit der Aufdeckung ihrer Ziele, Aktivitäten und ihrer Verflechtungen mit der Reichswehr unweigerlich deren geheime Aufrüstung in das Blickfeld der Öffentlichkeit und besonders der Alliierten geraten würde. Entsprechend erklärt der Hauptangeklagte Alfred Hoffmann, der als Strohmann für Ehrhardt die O.C. offiziell leitet, bereits am ersten Prozesstag, über die wahre Tätigkeit der O.C. nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit aussagen zu wollen, da er „Dinge zu erklären habe, die im vaterländischen Interesse nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen“. (11) Auf Druck des Oberreichsanwalts gibt das Gericht dem Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit statt und billigt damit dem Hauptangeklagten zu, sich als Geheimnisträger zu präsentieren, der zwar illegal, aber im Staatsinteresse gehandelt habe. Spätestens jetzt, schreibt der Historiker Martin Sabrow,

war der Prozess zu einer Farce geworden, in der der Staatsgerichtshof öffentlich vorgab, Straftaten zu verfolgen, die er im höheren Interesse des Reichs für legitim hielt. (12)

Letztlich sieht der Staatsgerichtshof das Tatmotiv im „blindwütigen Judenhass“, der in „unklaren und unreifen Köpfen einen wilden Mordtrieb“ geweckt habe. (13) Ganz anders äußern sich Ernst von Salomon und Friedrich Wilhelm Heinz, die beide zur Führung der O.C. gehören. Salomon erklärt den Sinn der Attentate so:

Wir dürfen nicht zuerst losschlagen. Die Kommunisten müssen es tun!… Man muss sie aber dazu zwingen! …Man muss Scheidemann, Rathenau, Zeigner, Lipinski, Cohn, Ebert und die ganzen Novembermänner hintereinander killen. Dann wollen wir doch mal sehen, ob sie nicht hochgehen, die rote Armee, die USPD, die KPD. (14)

Heinz präzisiert: Es gehe darum,

durch Rathenaus Tod die Kommunisten zum Losschlagen (zu) bewegen, damit im Gegenschlag der schnell aufgestellten Freikorps Ehrhardt die Macht an sich reißen und die Diktatur verhängen“ könne. (15)

Der Staatsgerichtshof macht sich im Verlauf der Weimarer Republik mehr und mehr zum Anwalt der Feinde der Republik und trägt so zur Zerstörung der Demokratie bei. Beispielhaft steht dafür 1930 ein Prozess gegen drei Reichswehroffiziere, die illegal versucht hatten, nationalsozialistische Zellen in der Reichswehr zu bilden. Dabei wird Hitler als einziger (!) Zeuge zur Frage vernommen, ob die NSDAP eine umstürzlerische Partei sei. Während das Gericht eine detaillierte Stellungnahme des Reichsministeriums des Inneren als Beweismittel ablehnt, gibt es Hitler die Gelegenheit zu einer zweistündigen Propagandarede. Hitler droht dabei ganz offen:

Wenn unsere Bewegung siegt, dann wird ein neuer Staatsgerichtshof zusammentreten, und vor diesem soll dann das Novemberverbrechen von 1918 seine Sühne finden, dann allerdings werden auch Köpfe in den Sand rollen. (16)

Das Reichsgericht weist diese auch gegen Mitglieder der verfassungsmäßigen Regierung gerichtete Drohung nicht etwa zurück, sondern interpretiert sie eilfertig so, dass Hitler soeben ein Bekenntnis zur Legalität abgegeben habe, da er zuerst die Macht auf legale Weise erobern und erst dann und nicht schon vorher „Köpfe rollen“ lassen wolle.

Auch für die Mörder von Matthias Erzberger gibt es ein bemerkenswertes Nachspiel. Tillessen und Schulz kehren 1933 nach Deutschland zurück. Sie werden nach der Strafffreiheitsverordnung von 1933 amnestiert, mit der die nun regierende NSDAP alle Strafen für Verbrechen beim Aufbau des Nationalsozialismus aufhebt. 1946 wird Tillessen erneut wegen des Mordes angeklagt. Das Landgericht Offenburg spricht ihn unter Berufung auf die Straffreiheitsverordnung des NS-Regimes frei, die es als nach wie vor geltendes Recht betrachtet. Erst nach vielfachen Protesten und der Aufhebung des Urteils durch das Hohe Gericht der französischen Besatzungsmacht wird vor dem Landgericht Konstanz neu verhandelt. Tillessen wird zu 15 Jahren Freiheitsstrafe, Schulz parallel dazu zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt. Beide werden bereits 1952 aus der Haft entlassen. (17)

Quellen, Hinweise und weitere Informationen

(1) Grundlegend zur Rolle der Organisation Consul und zu den zu Attentaten gegen Erzberger, Scheidemann und Rathenau: Martin Sabrow: Die verdrängte Verschwörung – der Rathenau-Mord und die deutsche Gegenrevolution, 1999. Anhand der Akten weist Sabrow nach, was die Beteiligten damals leugneten: Die Attentate waren keine Alleingänge hasserfüllter Einzeltäter, sondern von langer Hand geplant. Mit ihnen sollte der Boden für die Beseitigung der Weimarer Demokratie bereitet werden.

(2) Sabrow, S. 53

(3) Satzung der Organisation Consul, vorliegend u.a. im Staatsarchiv Freiburg

(4) Sabrow, S. 51

(5) Dieser Ablauf wird im Urteil des Landgerichts Konstanz gegen den Attentäter Heinrich Schulz vom 19.7.1950, S. 15 beschrieben. Siehe dazu auch Sabrow, S.79

(6) Im Prozess vor dem Landgericht Konstanz gestehen Tillessen und Schulz, dass der Mordauftrag über Killinger von der Zentrale der O.C. erteilt wurde. Der schriftlich erteilte Auftrag wurde 1922 von den Ermittlungsbehörden sichergestellt und liegt dem Gericht vor.

(7) zit. nach Sabrow, S. 97

(8) Joseph Wirth: Der Reichskanzler anlässlich der Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau. Rede im Deutschen Reichstag, 25. Juni 1922

(9) Bereits 1922 fand ein Prozess gegen die unmittelbar Tatbeteiligten statt. Dieser Prozess brachte jedoch kaum Aufschlüsse, zumal die beiden Mörder Rathenaus bei einem Feuergefecht mit der Polizei getötet wurden bzw. Suizid verübten.

(10) Sabrow, S.163

(11) zit. nach Sabrow, s.164

(12) Sabrow, S.165

(13) Bundesarchiv – 30.01 5053 /1 Urteil gegen den Tatbeteiligten Ernst Werner Techow und weitere Angeklagte, S.11

(14) Salomon zit. nach Friedrich Wilhelm Heinz, Sprengstoff, S.76

(15) Heinz, Die Nation greift an, S.139, zitiert nach Sabrow, S.187

(16) Ingo Müller, Furchtbare Juristen, S.29
Ebenfalls lesenswert: Susanne Meinl, Brigade Ehrhardt, Organisation Consul und Bund Wiking: Das Spinnennetz rechtsradikaler Verbände in Mittelhessen 1920–1925, in: Mitteilungen des Wetzlarer Geschichtsvereins 36 (1993), S. 55–101

(17) Zu den Nachkriegsurteilen gegen Schulz und Tillessen siehe: Landesarchiv Baden-Württemberg, https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/einfueh.php?bestand=8538

 

Fotonachweise:

Matthias Erzberger: Bundesarchiv, Bild 146-1989-072-16 / Kerbs, Diethart / CC BY-SA 3.0 DE, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_146-1989-072-16,_Matthias_Erzberger.jpg

Philipp Scheidemann: Bundesarchiv, Bild 146-1970-051-17 / Grohs (Groß), Alfred / CC-BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5482548

Walther Rathenau: © Deutsches Historisches Museum, https://www.dhm.de/lemo/bestand/objekt/f51_2784

Hetzschrift gegen Walther Rathenau 1922: Unbekannt, RothA RathenauTitelblatt, Alfred Roth: Rathenau. „Der Kandidat des Auslandes“. Deutschvölkische Verlagsanstalt (A. Götting), Hamburg 1922, gemeinfrei, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=7061520