Der Mord an Rosa Luxemburg und der „weiße Terror“

Auf die Niederschlagung des Spartakus-Aufstandes und der Münchner Räterepublik folgt eine Welle der Gewalt. Ermordet werden u.a. Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Kurt Eisner und Gustav Landauer. Den Racheakten der Freikorps fallen auch viele Menschen zum Opfer, die verdächtigt werden, Anhänger „der Roten“ zu sein.

Der Mord an Rosa Luxemburg

In den Wochen nach der Novemberrevolution ist offen, wie Deutschlands Zukunft aussehen wird. Nationalisten und Nationalistinnen und Monarchisten und Monarchistinnen wollen zurück zur alten Ordnung und lehnen die Demokratie zutiefst ab. In der provisorischen Regierung, dem „Rat der Volksbeauftragten“, stehen sich Befürwortende vorsichtiger Reformen und radikaler Veränderungen voller Misstrauen gegenüber.

© Deutsches Historisches Museum
Rosa Luxemburg

Die Reichswehr hatte die Rückkehr der Frontsoldaten zu einer Demonstration ihrer ungebrochenen Macht genutzt. Ihre Führung erklärt gegenüber Friedrich Ebert, der dem Rat der Volksbeauftragten vorsitzt:

„Das Offizierskorps erwartet, dass die Reichsregierung den Bolschewismus bekämpfen wird und stellt sich der Regierung dafür zur Verfügung.“ (1)

Eine Gelegenheit dazu ergibt sich, als hunderttausende Arbeiter und Arbeiterinnen gegen die Entlassung des linken Berliner Polizeipräsidenten Eichhorn demonstrieren, in der sie einen Angriff auf die Novemberrevolution sehen.

Als eine kleine Gruppe von Spartakisten die Verlagsgebäude des sozialdemokratischen „Vorwärts“ besetzt, ruft der Volksbeauftragte Gustav Noske (SPD) Reichswehr und Freikorps zur Hilfe. Diese schlagen mit schweren Waffen den sogenannten „Spartakusaufstand“ nieder.

Mordaufruf, plakatiert 1918 in Berlin

Danach werden ganze Berliner Stadtviertel nach tatsächlichen oder vermeintlichen Spartakisten und Spartakistinnen durchkämmt. An erster Stelle der Gesuchten stehen Führerin und Führer des Spartakusbundes, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Besonders Rosa Luxemburg verkörpert als Sozialistin, Pazifistin, Jüdin, zudem als selbstbewusste und gebildete Frau das Feindbild der Militärs und Freikorps.

Ihr Engagement gegen Nationalismus und Militarismus bringt sie bereits im Kaiserreich mehrfach ins Gefängnis. 1913 ruft sie bei einer Kundgebung in Frankfurt/Main zur Kriegsdienstverweigerung auf. Deshalb wird sie wegen „Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze und gegen Anordnungen der Obrigkeit” zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Fast während des gesamten Weltkriegs bleibt Rosa Luxemburg, der inzwischen Hoch- und Landesverrat vorgeworfen wird, in Haft. Dort entstehen auch ihre „Briefe aus dem Gefängnis“. (2)

Briefe aus dem Gefängnis

Mensch sein ist vor allem die Hauptsache. Und das heißt: fest und klar und heiter sein, ja heiter trotz alledem und alledem, denn das Heulen ist Geschäft der Schwäche. Mensch sein heißt, sein ganzes Leben, auf des Schicksals große Waage‘ freudig hinwerfen, wenn’s sein muss, sich zugleich aber an jedem hellen Tag und jeder schönen Wolke freuen … (3)

Ihre Verhaftung und Ermordung sind eine Machtdemonstration, die zeigen soll, wer in der neuen Republik das Sagen hat und wie diese mit Spartakisten und Spartakistinnen und Bolschewisten und Bolschewistinnen umgeht. Zugleich vertieft sie die Spaltung in der Arbeiterbewegung und macht diese später unfähig, gegen den heraufziehenden Faschismus gemeinsam zu handeln.

Ein Prozess wegen ihrer Ermordung ist aufgrund der großen öffentlichen Aufmerksamkeit nicht zu vermeiden. Er wird in hohem Maße einseitig geführt, um trotz der erdrückenden Beweislage Anklagen zu umgehen oder möglichst geringe Strafen zu erwirken. Tatsächlich gibt es geringe Freiheitsstrafen für zwei Tatbeteiligte und Freisprüche für alle anderen Angeklagten.

Der Prozess gilt „als einer der größten Skandal- ja Vertuschungsprozesse der deutschen Rechtsgeschichte“. (4) Er fällt unter die Militärgerichtsbarkeit der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, der alle beteiligten Richter, der Ankläger und die Angeklagten angehören. Da die Morde unter der Regie der Division geschahen, fällte das Gericht faktisch ein Urteil in eigener Sache. Der Ankläger, Kriegsgerichtsrat Paul Jorns, wurde später zum Richter an Hitlers Volksgerichtshof berufen. (5)

Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden.
Rosa Luxemburg, Mordopfer (6)

 

Nichts liegt gegen uns vor, was man uns zum Vorwurf machen könnte. Jeder Deutsche atmete auf, als diese beiden Lumpen ins Jenseits befördert wurden. Der Dank des Vaterlandes gebührt uns dafür. Gegen Leute wie Rosa Luxemburg und Liebknecht muss Richter Lynch auftreten.“
Leutnant Krull, Mittäter (7)

Hunderttausende kommen zum Begräbnis von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht

Der weiße Terror (8)

Den Gewaltexzessen nach der Niederschlagung des Spartakus-Aufstandes in Berlin folgen Gewalttaten im gesamten Reichsgebiet. Eine besondere Rolle spielt dabei Bayern, wo die kurzzeitig bestehende Räterepublik von Freikorps und Reichswehreinheiten blutig beseitigt wird.

Die bayerische Räterepublik

Nach der Novemberrevolution 1918 bilden sich überall in Deutschland spontan Soldaten- und Arbeiterräte. Am 7. November 1918 versammeln sich in München rund 50 000 Menschen zu einer Friedenskundgebung, zu der die beiden Arbeiterparteien und die freien Gewerkschaften aufgerufen haben. Noch am gleichen Abend ruft eine kleine Gruppe um den Pazifisten Kurt Eisner von den unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) den „Freistaat Bayern“ aus und erklärt das Ende der bayerischen Monarchie. Am 8. November wird eine von SPD und USPD getragene provisorische Regierung gebildet, die Eisner als Ministerpräsident anführt. Dem Mord an Eisner folgt die Ausrufung der Münchner Räterepublik.

Am 1. Mai 1919 beginnt die Niederschlagung der Räterepublik. In den Gewaltexzessen, die den militärischen Auseinandersetzungen folgen, dem „weißen Terror“, werden mehr als 1000 Menschen ermordet. (9) Opfer dieser Racheakte sind aktivistisch Tätige der Räterepublik, tatsächliche oder vermeintliche Sympathisierende sowie nicht selten Unbeteiligte, die denunziert wurden. Zumeist werden die von Freikorps oder Reichwehrangehörigen willkürlich Festgenommenen „auf der Flucht erschossen“ und danach beraubt. Besonders berüchtigt ist das Gefängnis Stadelheim, das unter Aufsicht der Reichswehr steht. In den amtlichen Statistiken werden die allein im Stadtbezirk München ermordeten 184 Personen als „tödliche Unglücksfälle“ geführt. Dazu kommen 186 standrechtlich erschossene Personen im Stadtbezirk. (10)

Zu den Ermordeten im Jahr 1919 gehören:

© Deutsches Historisches Museum

Karl Liebknecht

Karl Liebknecht war einer der Gründer der Sozialistischen Jugendinternationale.
Im Dezember 1914 stimmt Liebknecht als einziger Reichstagsabgeordneter gegen weitere Kriegskredite. Dies führt zum endgültigen Bruch mit der sozialdemokratischen Partei. Als Liebknecht am 1. Mai 1916 eine Friedensdemonstration organisiert, wird er zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt.

Zusammen mit Rosa Luxemburg gründet er 1917 den Spartakusbund. Im Oktober 1918 aufgrund einer Amnestie aus der Haft entlassen, wird Liebknecht im Januar 1919 von Reichswehreinheiten erschossen.

© Deutsches Historisches Museum

Kurt Eisner

Der erste Ministerpräsident des Freistaats Bayern Kurt Eisner war Ende des 19. Jahrhunderts als Journalist bei der Hessischen Landeszeitung in Marburg tätig. 

Am 21. Februar 1919 fällt er einem Mordanschlag von Graf Arco-Valley zum Opfer, einem Mitglied der völkisch-rechtsradikalen Thule Gesellschaft. Eisners Mörder erklärte später:

„Eisner ist Bolschewist, er ist Jude, er ist kein Deutscher, er fühlt nicht deutsch, untergräbt jedes vaterländische Denken und Fühlen, ist ein Landesverräter.“ (11)

Graf Arco wird wegen Mord zum Tode verurteilt, begnadigt und nach fünf Jahren Festungshaft entlassen. Er wird zum Idol der Rechten und einem Helden der Nationalsozialisten.

Marie Kling

Marie Kling gehört zu den vielen Opfern, die im Blutrausch nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik willkürlich und sinnlos getötet werden. Ihr wird nach einer Denunziation vorgeworfen, sie hätte als Sanitäterin mit den „Roten“ paktiert. Ihr Fall kommt vor ein Standgericht. Sie wird dort freigesprochen und soll entlassen werden.

Inzwischen wurde sie jedoch bereits im Gefängnis Stadelheim von Soldaten vor den Augen ihrer Offiziere erschossen. Augenzeugen berichten, dass sie dort als Zielscheibe verwendet wurde. Zuerst wurde sie ins Fußgelenk, dann in die Wade, dann in den Oberschenkel, zuletzt in den Kopf geschossen. Ein späteres Gerichtsverfahren kam nicht zustande, weil die Akten „verloren gegangen“ waren. (12)

Erschießung von sieben Parlamentären

Nach der Besetzung der Verlagsgebäude des sozialdemokratischen Vorwärts entsenden die Spartakisten sieben unbewaffnete und gekennzeichnete Parlamentäre zu Verhandlungen: Walter Heise; Werner Möller; Karl Grubusch; Erich Kluge; Arthur Schötler; Paul Wackermann; Wolfgang Fernbach

Die Parlamentäre werden auf Befehl eines Offiziers festgenommen, misshandelt und erschossen. Bestraft wurde niemand, obwohl Parlamentäre nach der Haager Landkriegsordnung von 1899 völkerrechtlich geschützt sind. (13)

Gustav Landauer

Gustav Landauer, Philosoph, Schriftsteller und Übersetzer, ist in der Räterepublik Kultusminister. In seiner kurzen Amtszeit schafft er die Prügelstrafe an Bayerns Schulen ab. Enttäuscht und zermürbt von den Streitereien in der Regierung zieht Landauer sich bald aus der aktiven Politik zurück.

Landauer wird nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik verhaftet, dem Badischen 14. Armeekorps übergeben, ins Zuchthaus nach Stadelheim überstellt und dort unter Verantwortung der Reichswehr misshandelt und am 2. Mai 1919 gelyncht. Die dafür Verantwortlichen bleiben straflos. Einzig ein Gefreiter wird zu fünf Wochen Haft verurteilt, weil er dem toten Landauer die Uhr abgenommen hatte und sie verkaufen wollte. (14)

Mord an 21 katholischen Gesellen

Am 6. Mai 1919 werden 26 Mitglieder des katholischen Gesellenvereins St. Joseph in München bei einer Versammlung festgenommen. Die als „Spartakisten“ denunzierten Gesellen werden von den angetrunkenen Soldaten so schwer misshandelt, dass 21 von ihnen sterben. Der größte Teil der Täter kann nicht festgestellt werden, da das entsprechende Protokoll „aus den Akten verschwunden“ ist. (15) Erst nach dieser Tat bröckelt im katholischen Bürgertum die Zustimmung zu den Rachefeldzügen von Militär und Freikorps gegen die „Roten“.

Der Wissenschaftler und Journalist Emil Julius Gumbel hat in seinem Buch „Vier Jahre politischer Mord“ 161 Morde, die in wenigen Tagen allein in München durch Angehörige der Reichswehr und Freikorps verübt wurden, dokumentiert.

Der Vorgang ist eintönig immer dasselbe: Denunziation, Verhaftung, Erschießung an der nächsten Mauer, Plünderung der Leiche. Der Täter bleibt straflos, denn ein Verfahren wird gar nicht eingeleitet. (16)

 

Quellen, Hinweise und weitere Informationen

(1) https://www.deutschlandfunkkultur.de/der-spartakusaufstand-ein-deutsches-drama.984.de.html?dram:article_id=153500

(2) Rosa Luxemburg, Briefe aus dem Gefängnis, verlegt u.a. bei anaconda, 2017

(3) Brief an Mathilde Wurm, zit. nach: Mensch sein ist vor allem die Hauptsache, Ausgabe 2018, Marix

(4) Zit. nach: https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse.de/glossar/der-prozess-um-die-ermordung-rosa-luxemburgs/

(5) https://www.lexikon-der-politischen-strafprozesse

(6) Rosa Luxemburg: Rosa Luxemburg: Zur russischen Revolution. In: Gesammelte Werke. Band 4, Berlin 1974, S. 359

(7) https://www.deutsche-revolution.de/ermordung-von-karl-liebknecht-und-rosa-luxemburg

(8) Der Begriff des „Weißen Terrors“ stammt vermutlich aus der französischen Revolution, in der die Truppen des Bourbonenkönigs mit der weißen Flagge des Herrscherhauses die Revolution blutig beendeten. Seit der russischen Revolution 1917 wird der „weiße Terror“ dem „roten Terror“ gegenübergestellt. Allgemein wird der Begriff für Massaker nach der militärischen Niederschlagung oder bei der Bekämpfung sozialrevolutionärer oder sozialreformerischer Erhebungen verwendet.

(9) Der frühere bayerische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner hat die Geschichte rechter Gewalt in seinem Buch „Die verratene Republik. Geschichte der deutschen Gegenrevolution“ (1958) nachgezeichnet. Er spricht in der Zeit des weißen Terrors allein in München von mehr als 1000 Getöteten.

(10) Siehe dazu Emil Julius Gumbel: Vier Jahre politischer Mord, 5.Auflage 1922, S.30 Das Buch wurde mehrmals aufgelegt und vom Autor aktualisiert. Das zwischenzeitlich vergriffene Buch wurde 2018 in einem Reprint neu aufgelegt, ist aber inzwischen erneut vergriffen. Verfügbar ist das Werk als e-book. Im Netz ist es im Projekt Gutenberg e books zu finden: https://www.gutenberg.org/files/39667/39667-h/39667-h.htm

(11) Zitiert nach Volker Ullrich: Mord in München, In: Die Zeit, Zeit Magazin Nr. 9 vom 19. Februar 2009, S. 92.

(12) Zum Kurzportrait Maria Kling und dem Mord an den Parlamentären siehe Emil Julius Gumbel: Vier Jahre politischer Mord, S.39

(13) Zu den Parlamentären: Emil Julius Gumbel: Vier Jahre politischer Mord, S.10

(14) Gumbel, S.35. Zum Mord an Gustav Landauer siehe weiterhin: https://taz.de/Fund-von-Gerichtsakten-im-Fall-Landauer/!5588911/ Die lange verschollenen Gerichtsakten sind einsehbar unter: www.landesarchiv-bw.de/web/64428

(15) Gumbel, S.40
Zum Gesellenmord weiterhin: https://vor-ort.kolping.de/kolpingsfamilie-muenchen-zentral/gedenkveranstaltung-gesellenmord/
Zum weißen Terror: https://www.br.de/themen/bayern/inhalt/geschichte/bayern-revolution-1919-weisser-terror100.html

(16) Gumbel, S. 42

 

Fotonachweise:

Rosa Luxemburg: © Deutsches Historisches Museum, https://www.dhm.de/lemo/biografie/rosa-luxemburg

Mordaufruf, plakatiert 1918 in Berlin: selber erstellt, Plakat an Berliner Litfaßsäulen 1918, CC0 1.0, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Plakat_an_Berliner_Litfa%C3%9Fs%C3%A4ulen_1918.JPG

Hunderttausende kommen zum Begräbnis von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht: Bundesarchiv, Bild 146-1976-067-25A / CC-BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5419015

Karl Liebknecht: © Deutsches Historisches Museum, https://www.dhm.de/lemo/biografie/karl-liebknecht

Kurt Eisner: © Deutsches Historisches Museum, https://www.dhm.de/lemo/bestand/objekt/96003130

Erschießung von sieben Parlamentären: Bundesarchiv, Bild 102-00539 / Groß, Alfred / CC-BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5478959

Gustav Landauer: Unknown author, Gustav Landauer 189x, gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4570633